Schmutziger Machtkampf in Malaysia

Premierminister Mahathir Mohammad feuert seinen Stellvertreter, Finanzminister und langjährigen Schüler Anwar Ibrahim. In der Hauptstadt Kuala Lumpur kursieren Gerüchte, dessen Verhaftung stünde bevor  ■ Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – Von demokratischen Kinkerlitzchen hält Malaysias machtbewußter Premierminister Mahathir Mohammad überhaupt nichts. Deshalb leben politische Rivalen gefährlich. Das muß derzeit auch der Mann schmerzlich erleben, der bis vor kurzem als enger politischer Vertrauter und Kronprinz des 72jährigen Regierungschef galt: Anwar Ibrahim.

Der saß gestern in seiner Residenz in Kuala Lumpur, umgeben von Hunderten seiner Anhänger und bewacht von Polizisten mit automatischen Gewehren. Zuvor hatte ihn Mahathir von seinem Posten als Vizepremier und Finanzminister gefeuert. Er befürchte, sagte Anwar, verhaftet zu werden – entweder nach dem „Gesetz zum Schutz von offiziellen Geheimnissen“ oder nach dem gefürchteten „Gesetz zum Schutz der inneren Sicherheit“ (ISA). Das ISA erlaubt der Regierung, mißliebige Personen ohne Gerichtsbeschluß und ohne Verteidigung bis zu zwei Jahre ins Gefängnis zu stecken.

Offiziell wurden keine Gründe für die Entlassung genannt. Polizeichef Abdul Rahim Noor erklärte aber, gegen Ex-Vizepremier werde wegen „sexueller Unziemlichkeiten“ ermittelt. Anscheinend handelt es sich bei den Vorwürfen um eine lange Liste von Anschuldigungen, die bereits seit Monaten in einem Pamphlet unter dem Titel „50 Gründe, warum Anwar nicht Premierminister werden kann“ in Kuala Lumpur zirkuliert. Darin heißt es unter anderem: Er sei Vater eines unehelichen Kindes, er sei schwul, er sei bestechlich, er sei für einen Mord verantwortlich. Außerdem soll er dem Internationalen Währungsfonds Staatsgeheimnisse verraten haben. Anwar bestreitet diese Beschuldigungen und hat die Herausgeber verklagt. Er sei Opfer einer „Verschwörung auf höchster Ebene“, sagte der Politiker gestern.

Mit dieser bizarren Auseinandersetzung scheint ein lange schwelender Machtkampf zwischen Mahathir und seinem Stellvertreter vorerst entschieden. Mahathir, der seit 1981 in Kuala Lumpur herrscht, hatte zuvor ein neues Wirtschaftsprogramm verabschiedet, das scharfe Kontrollen des Devisenhandels und ausländischer Investitionen vorsieht – gegen den Willen seines Stellvertreters.

Mit Anwars Entlassung ist auch die Hoffnung vieler malaysischer Oppositioneller gestorben, die schwere Wirtschaftskrise in ihrem Land könnte – wie in Süd-Korea, Thailand oder Indonesien – einen demokratischen Wandel mit sich bringen. Denn für viele Malaysier gilt der 51jährige Politiker als Vertreter einer neuen, weltoffeneren Generation. So tief er jetzt stürzte, so aufregend war seine Karriere: Als gläubiger Muslim hatte er schon kurz nach seinem Studium eine muslimische Jugendorganisation gegründet und war 1974 für zwanzig Monate verhaftet worden, weil er für eine gerechtere Politik gegenüber den verarmten Bauern im Norden des Landes demonstriert hatte. Als Mahathir ihn 1982 in die Regierungspartei UMNO und 1983 in sein Kabinett holte, waren viele Oppositionelle entsetzt: Wie konnte Anwar zur Gegenseite überlaufen?

In dem südostasiatischen Vielvölkerstaat sind die meisten Bewohner muslimische Malaien, die politischen Parteien überwiegend auf der Basis ethnischer Zugehörigkeit organisiert. Mit einer Mischung aus scharfer politischer Kontrolle und wirtschaftlichen Vergünstigungen für die malayische Mehrheit sicherte sich Mahathir die Unterstützung für seine Regierung. Dem populären jungen Mann bot er die Chance zu einer großartigen Karriere: Innerhalb von zehn Jahren stieg er in Partei und Regierung an die zweite Stelle auf – hinter dem Premierminister, den Anwar bis zuletzt seinen „Vater“ nannte.

Der Preis: Während Anwar seine Vorliebe für Toleranz und Demokratie zum Beispiel in seinem Buch „Die asiatische Renaissance“ darlegte, widersprach er nie öffentlich, wenn sein Regierungschef Oppositionelle einsperrte.

Nach dem Sturz Suhartos hatten Anwars Anhänger gehofft, daß ihre Zeit gekommen sei: Mit einer Kampagne gegen Korruption und Günstlingswirtschaft versuchten sie ihre Stellung in der UMNO zu stärken. Doch Mahathir schlug zurück und veröffentlichte eine Liste derer, die Anteile an privatisierten Staatsbetrieben bekommen hatten. Darunter waren auch Verwandte Anwars. Seitdem sank der Stern des Kronprinzen. Er habe nie versucht, Mahathir aus dem Amt zu drängen, schwor Anwar gestern. Er habe seinem Chef vertraut, denn: „Ich war naiv.“