Eine gute Frau auf verlorenem Posten

Es ist keine schöne Aufgabe, in Bayern für den Erfolg der SPD verantwortlich zu sein. Renate Schmidt, die Spitzenkandidatin, gibt sich ihr ganz hin – doch gegen Stoiber und die CSU hat sie nicht den Hauch einer Chance  ■ Aus München Stefan Kuzmany

Der Pressereferent ist erschöpft. „Welches Jahr haben wir? Ach ja, 98“, scherzt er müde, während er die Terminliste seiner Chefin Renate Schmidt, der bayerischen SPD-Landesvorsitzenden, sucht. Die Stimmung sei gut, versichert er, die Umfragen „so gut wie schon lange nicht mehr“, trotzdem entfährt ihm ein kleiner, heiserer Seufzer: „Ich bin froh, wenn es vorbei ist, das können Sie mir glauben.“ Bald ist es vorbei: Am Abend des 13. September wird Bayern wieder die CSU gewählt haben, jüngsten Umfragen zufolge wieder mit „50 Prozent plus X“ der Stimmen, und die SPD wird wieder auf der Oppositionsbank im Maximilianeum verschnaufen können – ein rotes Wunder ist in Bayern nicht zu erwarten.

Fünfzigtausend Kilometer wird die 54jährige bis zum Wahlabend zurückgelegt haben. Sie hat keine Chance, aber die nutzt sie gründlich: Unermüdlich tourt Renate Schmidt durch den Freistaat, spricht mal beim Familienfest der SPD in Nürnberg, wo sie zu Kaffee und Kuchen mit Musik der „Schlitzohren“ und der „Frankenbänd“ angekündigt wird, am nächsten Tag beim Bayerischen Landes-Seniorentag, wo sie gemeinsam mit den alten Polit-Haudegen Hans-Jochen Vogel und Georg Kronawitter einen „Aufbruch in eine bessere Zeit“ verspricht, in Bamberg, in München und in Würzburg, vor vollen Bierzelten und halbleeren Mehrzwecksälen – nur ändern wird sie nichts, und ändern wird sich auch nichts im Stammland der Konservativen.

Da mag sie bürgernäher wirken als ihr Kontrahent Stoiber, und sympathischer allemal, aber wie's der Teufel will: Als Ministerpräsidentin wollen sie nicht einmal alle Anhänger der SPD sehen. Nach einer Umfrage der Süddeutschen Zeitung sind dreißig Prozent aller bayerischen SPD-Wähler für einen Regierungschef Stoiber.

Im Gegensatz zu Renate Schmidt hat Stoiber ein sehr asketisches, unfrohes Image. Schmidt lacht gern und viel, Stoiber lacht nie, so die einfache Formel. Wenn die Rede jedoch auf die bayerische SPD kommt, wie bei seiner Wahlkampfrede auf dem Parteitag der CSU in München, dann bekommt Stoibers schrille Stimme einen ungewohnt heiteren Unterton. „Vor sich herjagen“ wollte ihn die Oppositionsführerin nach der letzten Landtagswahl, wo sie mit 30 Prozent einen Achtungserfolg einfahren konnte. „Aber ich sehe hinter mir gar nichts“, spottet Stoiber – und auf Schmidt geht er ansonsten gar nicht mehr ein: „Ich geh' doch nicht zum Schmiedl, sondern zum Schmied, und der heißt für mich Schröder und Lafontaine.“

Es ist keine schöne Aufgabe, in Bayern für den Erfolg der SPD verantwortlich zu sein, denn allgegenwärtig sind die Machthaber von den Christsozialen, allgegenwärtig deren Erfolgssymbole, zu denen sie hier inzwischen nicht nur die Wirtschaftskraft des ehemaligen Agrarlandes zählen, sondern auch den Chiemsee und die Zugspitze.

Dabei hätte die Spitzenkandidatin Schmidt das Zeug zur Regierungsverantwortung, die nötige Durchsetzungskraft und Kompetenz, die sie sich in einem an Kämpfen und Widerständen nicht armen Leben erwerben mußte. Als schwangere Schülerin mußte Renate Schmidt ein Jahr vor dem Abitur das Gymnasium verlassen, hat sich 1961 für den Beruf der Programmiererin entschieden, hat die Ochsentour als Gewerkschafterin in der HBV mitgemacht, war Hinterbänklerin im Bundestag und später, als Landesvorsitzende der SPD, zunächst nicht einmal in den eigenen Reihen unumstritten. Nicht genug, vom Amigo Max Streibl als „Krampfhenne“ bezeichnet zu werden – auch ihr früherer stellvertretender Fraktionsvorsitzender Albert Schmid hatte seine Probleme mit der starken Frau, die sich seiner Ansicht nach auf Freundlichkeiten zur Stimmengewinnung beschränken sollte, während er in strategischen politischen Fragen das Sagen behalten wollte.

Daß Albert Schmid in der Folge wohl kaum etwas zu lachen hatte, ließ sich erst vorgestern wieder ahnen, als Renate Schmidt in der Harald Schmidt Show demonstrierte, wie sie auf unbequeme Kritik reagiert. Den SZ-Journalisten Michael Stiller scholt sie für eine die Schwächen ihres SPD-Wahlkampfes aufzeigende Reportage einen „frustrierten Achtundsechziger“, als den man ihn in Bayern ja kenne. Als Stiller vor den letzten Landtagswahlen mit der Aufdeckung der Amigo-Affären Max Streibls der SPD ein dankbares Wahlkampfthema lieferte, hat sie den Wahrheitsgehalt von Stillers Recherchen noch nicht bezweifelt.

Albert Schmid und die mit ihm verbundenen Querelen ist Renate Schmidt losgeworden, was das desolate Bild der bayerischen SPD in der Öffentlichkeit zwar etwas verbessern konnte. Sie hat der bis dahin gänzlich namen- und charakterlosen Partei ein Gesicht gegeben – und doch reicht es für die bayerische SPD, den immerhin zweitgrößten Landesverband Deutschlands, zu keiner ernsthaften Hoffnung auf den Wahlsieg: „30 Prozent plus XXL“ wünscht sich Renate Schmidt in Anspielung auf die traditionellen „50 plus X“ der CSU, das wäre doch schön. Im ürigen macht sie den Landtags- zum Bundestagswahlkampf, das ist dann doch eine dankbarere Aufgabe.

„CSU = Kohl“ ist eine der Parolen auf den SPD-Plakaten, und auf anderen lächelt Frau Schmidt überlebensgroß neben Herrn Schröder von der Wand; der Sache zuliebe, nicht dem Kandidaten, mit dem sie sich schon vor vier Jahren nicht verstanden hat, als der noch gegen Rudolf Scharping pöbelte. Vor diesem Hintergrund wirkt es etwas unglaubwürdig, wenn sie immer wieder versichert, sie hätte durchaus Gesundheitsministerin in einem Kabinett Schröder werden können, aber sie hätte eben nicht gewollt, aus privaten Gründen. Sie wolle in Bayern bleiben und hier am Regierungswechsel arbeiten.

Da wird die Hochzeit mit ihrem zweiten Mann eine Rolle gespielt haben, und auch das, was sie im Januar der Bild-Zeitung erzählt hat: Nachdem sie bereits die ersten Schritte ihrer eigenen drei Kinder verpaßt habe, freue sie sich jetzt darauf, das bei ihren Urenkeln nachholen zu können. Auch wenn ihre älteste Enkelin, jetzt ein Teenager, etwas später als die Großmutter daran denkt, eine Familie zu gründen – bei der bayerischen Beständigkeit wird Renate Schmidt wohl auch in zehn Jahren nicht von etwaigen Ministerpräsidentinnenpflichten von der Kindbetrachtung abgehalten werden.