Anworten auf Letzte Fragen

Warum zerknüllt oder zerreißt man Papier, bevor man es wegwirft? (29.8.98)

Ich habe einen logischen und einen psychologischen Grund. Zunächst den logischen: Ein einfach nur weggeworfener Zettel findet fast immer den Weg zurück auf meinen Schreibtisch, weil irgendwer ihn findet und vermutet, er sei für mich von existentieller Wichtigkeit. Schließlich finde auch ich den Zettel wieder und schreibe ihm ebenfalls große Bedeutung zu, kann mich aber nicht mehr erinnern, welche. Der psychologische Grund ist der, daß es mir eine so große Freude macht, mich von erledigten oder unwichtigen Dingen zu verabschieden, daß es schon Ritualcharakter hat, die irrelevant gewordene Information genüßlich zu zerreißen und zu zerknüllen.Carsten Wanke, Sankt Augustin

Das scheint eine geschlechtsspezifische Angelegenheit zu sein. Das Künstlertrio „Die Tödliche Doris“ hat in den Jahren 1979-82 zerrissene und zerknüllte Paßfotos in den Abfallkörben und in der Umgebung von öffentlichen Fotoautomaten gesammelt. Dabei stellte sich heraus, daß vorwiegend Männer, die mit dem Ergebnis nicht zufrieden waren, ihre Fotos zerknüllten, Frauen die ihren dagegen in kleine Stücke zerrissen. Einen Teil dieser geglätteten oder zusammengeklebten Fotos kann man in der Städtischen Galerie Wolfsburg oder vollständig in dem Film „Material für die Nachkriegszeit“ von „Die Tödliche Doris“ sehen.Martin Schmitz, Kassel/Berlin

Diese weitverbreitete Sitte entwickelte sich aus Paragraph 1, Absatz 3, der Feuerwehrverordnung für Brandenburg aus dem Jahre 1844, die noch heute in Kraft ist. Im November 1843 brannte nämlich in Brandenburg das Feuerwehrhaus lichterloh, weil ein Feuerwehrmann mit brennender Zigarette über seinem Schreibtisch eingeschlafen war. Von plötzlichem Rauch und Brandgeruch aufgeschreckt, versuchte er mutig das aufflackernde Feuer mit Löschpapier zuzudecken und so zu bekämpfen. Dies half aber gar nichts, sondern gab tragischerweise den Flammen sogar neue Nahrung. Das Feuerwehrhaus brannte fast vollständig ab, der Feuerwehrmann konnte mit schwersten Verbrennungen gerettet werden. Seither muß in allen Feuerwehrhäusern in Brandenburg aus Sicherheitsgründen jedes Papier, bevor es weggeworfen wird, zerknüllt oder zerrissen werden, um es für Löschversuche unbrauchbar zu machen.Gerhard Drexel, Berlin

Kennen sich im Ameisenhaufen alle Ameisen? (29.8.98)

Eindeutig ja, wie eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung gesponsorte Blitzumfrage unter amerikanischen Waldameisen (formica silvestris americaniensis) ergab. „Ich kenne die“, war die immer wieder gegebene Antwort.Gerd Neurath, Saarbrücken

Das ist wie in einer großen Firma: Alle Ameisen kenne sich am Nestgeruch, so wie mensch weiß, wer auch „zum Betrieb gehört“. Aber richtig kennen tun sich nur die Subversiven. Die, die über ihre Abteilung hinaus überall die Nase reinstecken und Gleichgesinnte suchen.Hartmut Zipperlen, Stuttgart

Was ist jenseits von Gut und Böse? (29.8.98)

Das Gute ist der Himmel (z.B. Frau Holle und der Herr Aloisius), das Böse ist die Hölle. Jenseits von Gut und Böse ist also die Erde, auf der die Menschen leben, bis sie jenseits ins Gute (Himmel) oder ins Böse (Hölle) auf- oder niederfahren.Karl Adam Nierstheimer, Frankfurt/M.

Was ist ff., und warum muß man es beherrschen? (15.8.98)

Wenn in einer wissenschaftlichen Arbeit auf andere Werke verwiesen wird, wird die Seite angegeben, zum Beispiel taz, 29.8. 98, S. 20. Ist diese Stelle länger als eine Seite, schreibt man S. 20f., wobei „f“ wohl für „folgende“ steht. Bei noch längeren Texten wird S. 20ff. geschrieben. Das heißt, wer etwas aus dem „ff“ kennt, hat einen Text und sogar die längeren Querverweise gelesen, sollte sich also recht gut damit auskennen.Wolfgang Schwartz, Hamburg

Wie drückt man „im Uhrzeigersinn“ aus, wenn alle nur noch Digitaluhren haben? (22.8.98)

Der stärkere Verbreitung von Digitaluhren sollte keinen Einfluß auf die Begrifflichkeit „im Uhrzeigersinn“ haben. Tatsächlich beruht die Annahme, daß mit diesem Ausdruck die Bewegungsrichtung der Zeiger gemeint sei, auf einem klassischen Mißverständnis. Gemeint ist vielmehr die Richtung, die das gesamte Instrument beschreibt, wenn man es mit dem klassischen „Zeigerwurf“ von sich weg wirft. Das geht wie folgt: Man nimmt die in die rechte Hand. Beim klassischen Armbandkonzept befindet sich dann die Metallschnalle des Verschlusses oben, das gelöcherte Ende unten. Wirft man nun die Uhr mit druckvoll federndem Schwung aus dem Handgelenk von sich weg, so erhält sie durch die normalerweise etwas schwerere Metallschnalle einen Spinn nach rechts. Sie fliegt also mit etwas Übung in einem sanften rechten Bogen und dreht sich dabei rechtsrum um sich selbst. Die Uhr zeigt die Rechtskurve an, und daher kommt der Ausdruck „im Uhrzeigersinn“.

Erstmals dokumentiert wurde die Technik des Uhrzeigens bereits Anfang unseres Jahrhunderts. Wirklichen Anklang als Richtungsangabe fand der Uhrzeigersinn aber erst in den 20er Jahren, als Armbanduhren verbreiteter und erschwinglich wurden. Dazu kam der Zeitgeist der „wilden 20er“, der dieser verschwenderisch-zerstörerischen Methode sogar unter Pfadfindern zu Beachtung verhalf. Mit zunehmendem Fortschritt in der Feinmechanik und der Entwicklung immer kleinerer und leistungsfähigerer Uhren nahm der Verschleiß von Chronometern deutlich ab. Damit aber auch die Attraktion einer Uhr, die zu Demonstrationszwecken geschleudert, beim Aufprall in Tausende Einzelteile zerspringt. Hauptsächlich deshalb war die große Zeit des Uhrenwerfens in den 40er Jahren vorbei, und immer seltener fanden sich Könner der überaus anspruchsvollen Technik einer gut geworfenen Uhr.

Heute geht das sogar so weit, daß viele moderne Billiguhren nicht einmal mehr gut genug ausgewogen sind, um den Stundenmessern einen vernünftigen Drall im Uhrzeigersinn zu verpassen. Nur noch renommierte Hersteller beachten diesen „goldenen Schnitt“ der Uhrenmanufaktur. Es ist also weniger das Problem, daß das Anzeigen einer Richtung durch eine Digitaluhr nicht geht, sondern vielmehr, daß die entsprechende Technik in Vergessenheit geraten ist. Ungefähr so wie das Bestimmen der Himmelsrichtung mit Hilfe einer Armbanduhr. Den meisten Leuten ist bekannt, daß das möglich ist, jedoch wissen nur die wenigsten wie man es tatsächlich macht.Prof. Dr. Tim Erman, Greifswald

Wie gehen die Regeln der Kunst? (1.8.98)

1. Ein Buch dauert 476 Seiten. 2. Der nächste Roman ist der schwerste. 3. Kunst ist, wenn der Ranicki jubelt.Thomas Mahn, Wehrheim

Warum wird Papier durchsichtig, wenn Fett drankommt? (1.8.98)

Letzte Woche wurde eine ziemlich falsche Antwort dazu veröffentlicht, und ich fühle mich zu einer Richtigstellung im Namen der Physik aufgefordert. Einleitend möchte ich mein großes Vorbild Georg Christoph Lichtenberg zitieren: „Ein etwas vorschnippischer Mann... hat einmal gesagt, es gäbe zwischen Himmel und Erde viele Dinge, von denen in unseren Compendiis (der Physik) nichts stehe. Das mag schon sein. Dafür stehen aber auch in unseren Compendiis viele Dinge, von denen weder im Himmel noch auf der Erde etwas vorkömmt.“

Also, nun mal richtig: Das erste Zauberwort heißt „Streuung“. Papier erscheint hell und undurchsichtig, weil das Licht an der unregelmäßigen Feinstruktur entsprechend unregelmäßig zurückgeworfen wird. Wir sprechen von diffuser Reflexion. Der kleine Anteil Licht, der vielleicht seinen Weg ins Innere des Papiers gefunden hat, wird nach kurzer Fahrt absorbiert. Wenn jetzt eine geeignete Flüssigkeit zwischen (nicht auf) die Fasern des Papiers gelangt, kommt das zweite Zauberwort „Brechung“ ins Spiel. Aber ohne Linseneffekt, das ist blanker Unsinn.

Was sind geeignete Flüssigkeiten? Das sind solche Flüssigkeiten, die die Zwischenräume der unregelmäßigen Struktur ausfüllen und da bleiben, also alle Öle und die nicht so harten Fette. Wasser ist nicht so gut geeignet, es hat gerade im Zusammenspiel mit Papier, für diesen Zweck einige ungünstige Eigenschaften. Insbesondere verteilt es sich durch seine starke Kapillarität sehr schnell so weit im Papier, daß es nicht mehr wirksam sein kann (es sei denn, man taucht die ganze Seite komplett in Wasser). Und es reagiert mit dem Papier: Die Fasern quellen, der Leim löst sich.

Bleiben wir also bei Öl/Fett. Dadurch, daß die Zwischenräume mit einem stärker lichtbrechenden Material ausgefüllt sind, entsteht so etwas wie Leitfähigkeit für Licht. Die Grenzflächen Faser/ Flüssigkeit sind für Lichtstrahlen gar nichts im Vergleich zur Grenzfläche Faser/Luft. Das Licht wird an den Fasern immer noch reflektiert, aber wegen des höheren Brechungsindex' jetzt eher „in Fahrtrichtung“. Je mehr Fett, um so weniger Einfluß haben die Fasern, und das ganze System verhält sich Licht gegenüber eher wie eine Flüssigkeit. Wie Glas zum Beispiel.

Tatsächlich kann man das Experiment auch mit Milchglas machen. Ich meine echtes Milchglas mit geätzter (matter) Oberfläche. Wenn man da auf die matte Seite eine „geeignete Flüssigkeit“ (s.o.) aufbringt, hat die Sichtschutzwirkung des Milchglases ein Ende. Der Effekt ist noch beeindruckender als mit Papier, weil Papier unter dieser Behandlung bestenfalls durchscheinend wird, während das Milchglas echt durchsichtig werden kann. Und das liegt an der Immersion.

Aber das ist eine andere Geschichte, und die soll ein andermal erzählt werden.Christoph Schmees, Bremen