Pragmatismus, Baby!

Banker im Untergrund: Carol von Rautenkranz leitet mit Lado das wichtigste Label für deutschsprachige Popmusik  ■ Von Felix Bayer

Wir sind hier nicht bei Econy. Zum Glück, denn in dem hübsch aufgeputzten Wirtschaftsmagazin würde Carol von Rautenkranz zum Jungunternehmer neuesten Zuschnitts hochstilisiert werden. Und tatsächlich sind es Kniffs und Charisma, durch die der Hamburger zu einem der bedeutendsten Musikschaffenden der Stadt geworden ist. Trotzdem: Neben Geld geht es bei seiner Firma Lado immer noch um Inhalte, weiterhin erscheinen hier die wichtigsten Platten des Pop-Underground. „Kultur machbar machen“, raunt von Rautenkranz ins Mikrofon des Diktiergeräts und ist dabei nur halb ironisch. Natürlich fallen in einem Gespräch mit einem Labelmacher andere Ausdrücke, als sie ein Künstler verwenden würde.

Im November ist es zehn Jahre her, seit mit Kein Schulterklopfen von der Kolossalen Jugend die erste Single auf L'Age D'Or erschien. Mit dem Gitarristen der Band, Pascal Fuhlbrügge, hatte von Rautenkranz zuvor in der Werkstatt 3 Konzerte für lokale Bands veranstaltet und ihnen in seinem Pinneberger Studio Aufnahmemöglichkeiten angeboten. Das alles neben der Banklehre. Der Start des Labels war für Rautenkranz nur eine Antwort auf die Frage: Was tun nach der Lehre? Die andere war ein BWL-Studium, finanziert durch ein elternunabhängiges BaföG: „Damals gab's da irgendsoeinen Dunkelparagraphen.“ Der Weg des Studenten von Rautenkranz endete 1991 an der Hürde Mathe-Klausur, aber bis dahin war die Kosten- und Nutzenrechnung schon gelernt.

Jubiläen wie Lados zehnjähriges rufen zwangsläufige Rituale hervor. Im Rahmen der Kölner Musikmesse Popkomm gab es vor ein paar Wochen ein großes Konzert mit fast allen aktuellen Firmen-Bands, bei dem von der Bühne aus die Gagenverteilung thematisiert wurde. Carol von Rautenkranz, der als Moderator durch den Abend führte, mußte sich Pfiffe gefallen lassen, aber er antwortet darauf mit: „Naja, wir sind halt ein Diskurslabel.“ Dafür verzichtete er auf die Verleihung des von Viva organisierten Branchenpreises Comet, obwohl er bereits zum zweiten Mal nominiert worden war – für „Tocotronic, Die Sterne, Whirlpool Productions“, wie in der Nominierungsbegründung etwas dürr steht. Den Preis bekam dann doch der EMI-Chef für sein Lebenswerk, aber Rautenkranz sagt auch: „Der Life-time-Achievement-Award kann ruhig noch warten. Aber ich würde ihn schon annehmen, wenn die Rubrik okay wäre.“

Carol von Rautenkranz ist Pragmatiker, von ihm wird man keine hochtrabenden Visionen hören. Es geht um „kleine Schritte“, um „Langfristigkeit“. Fragt man ihn über Dinge wie Marketing oder die Zukunft der Musikindustrie, so klängen die Aussagen eines leitenden Angestellten einer Majorfirma nicht so anders. Aber wenn man ihn beim Konzert einer „seiner“ Bands im Publikum sieht, zeigt seine Körpersprache, daß er nicht lügt, wenn er sich als „Pop-Enthusiasten“ bezeichnet. Ein Enthusiast allerdings, der weiß, daß Begeisterung allein keine Rechnungen bezahlt. „Ich bin bei minus zehn Tagen“, war die Antwort auf die Frage, ob er Zeit für ein Interview habe. Natürlich hat er es trotzdem gegeben, obwohl ein neuer Kooperationsdeal für das House- und Elektro-Label Ladomat ausgehandelt werden muß und die Aufnahmen für das nächste Tocotronic-Album vorbereitet werden müssen.

„Ich bin nicht mehr permanent im Studio oder im Büro“, sagt von Rautenkranz, und „ich muß mich im Tagesgeschäft nicht mehr in alles einmischen.“ Aber wenn es sein muß, sitzt er trotzdem sechs Stunden beim Videoschnitt der Aeronauten dabei oder redet bis vier Uhr morgens mit Musikern, um Mißverständnisse auszuräumen. Und er freut sich, wenn auf der anderen Straßenseite „schon wieder so ein Suppenwürfel“ vorbeiläuft. Irgendwie ist er immer noch – wie ihn Tocotronic einmal nannten – „Onkel Carol“.