Wachstumskurven

■ Die Probebühnen auf dem Dach des Schauspielhauses werden erstmal nicht gebaut, trotzdem radelt Theaterchef Klaus Pierwoß übergut gelaunt in die neue Spielzeit

Eigentlich wollte Theaterintendant Klaus Pierwoß gestern eine Zeitung in eine Röhre stecken und die Maurerkelle schwingen. Doch die vorgesehene Grundsteinlegung für die neuen Probebühnen auf dem Schauspielhaus fiel aus. Der Theateraufsichtsrat hat die Notbremse gezogen, nachdem Pierwoß das Gremium unmittelbar vor der Sommerpause mit einer 50prozentigen Überschreitung der Kosten für das Projekt überrascht – manche sagen: geschockt – hatte. Statt 6,4 Millionen Mark soll der Bau von Probebühnen auf dem Dach sowie eines Dekorationslagers im Keller nun rund 9,4 Millionen Mark kosten. Wie immer, wenn man nicht mehr weiter weiß, gründete auch der Aufsichtsrat einen Arbeitskreis. Und der soll zur nächsten Sitzung am 16. September eine Lösung des Problems erarbeiten. Dazu gehört auch die Beantwortung der Frage, ob der Zeitplan noch eingehalten werden kann oder ob das Projekt um ein Jahr verschoben werden muß.

Trotzdem sprach Klaus Pierwoß gestern bei einer Pressekonferenz zur Spielzeiteröffnung am 9. September bloß von einem Wermutstropfen und trat ansonsten mit beinahe erschreckend guter Laune auf. Das heißt er trat nicht, sondern fuhr – auf einem von 50 knallroten Fahrrädern, die der Martinshof im Auftrag des Theaters zusammengebaut hat und die beim Tag der offenen Tür am Goetheplatz am 12. September unter die Leute gebracht werden sollen. Gegen Zeichnung von zwei Abos gibt es ein Fahrrad als Gratisdraufgabe. Und da könnten 50 Räder schnell vergeben sein.

Bei seinem Amtsantritt vor viereinhalb Jahren hatte Pierwoß angekündigt, daß er das Theater wieder zum kulturellen Mittelpunkt der Stadt machen will. Gestern präsentierte er die Bilanz der vergangenen Spielzeit und nutzte ein neues Medium dafür: „Ich bin der erste Intendant, der seinen Bauch als Werbefläche benutzt“, sagte er und tippte auf eine auf das T-Shirt gebügelte Tabelle: 744 Vorstellungen in der letzten Saison. Das macht ein Plus von 56. Fast 233.000 ZuschauerInnen. Das entspricht einer Steigerung um rund 55.000. Die Auslastung lag bei 77,5 Prozent. Im Vorjahr waren es noch 72 Prozent. Das Theater steigerte seine Erlöse um 1,8 Millionen Mark auf rund 5,4 Millionen. Zu all dem hat auch die erste Sommerbespielung mit der Gastspielproduktion „Porgy and Bess“ beigetragen. Pierwoß meldete für das Musical eine Auslastung von 100 Prozent und wertete die Zahlen als Maßstab und Herausforderung für die neue Spielzeit. Indes munkelt man, daß der Etat der vergangenen Saison überzogen wurde. Verwaltungschef Jens Walter dementiert nicht. Genaue Angaben könnten nach Auskunft eines Theatersprechers aber erst nach dem Abschluß der Abrechnung gemacht werden.

Die neue Spielzeit beginnt am 9. September mit der Premiere von Tschechows „Drei Schwestern“ im Schauspielhaus. Es folgt der Tag der offenen Tür am 12. September (ab 15 Uhr) und die Premieren des Gerhard-Rühm-Abends „Ich kunste, Sie zahlen“ am 17. September im Brauhauskeller sowie von Schillers „Kabale und Liebe“ am 19. September im Schauspielhaus. Das Musiktheater beginnt am 3. Oktober mit der Premiere von „Otello“. Am 13. Oktober starten das Theater und die Journal-Redaktion von Radio Bremen 2 eine neue Serie: Jeden zweiten Dienstag im Monat sendet das Journal ab 9 Uhr für eine Stunde live aus dem Theatro. ck