In der Bürokratenhölle

Die Baracke läutet ihre dritte Spielzeit ein: Thomas Ostermeier inszeniert Richard Dressers „Unter der Gürtellinie“  ■ Von Eva Behrendt

Ungültig!“ Wie das Fallbeil einer Guillotine knallt Stempel auf Akte. Hinter einem Ungetüm von Schreibtisch blitzen die blutunterlaufenen Äuglein von Abteilungsleiters Merkin. Jeder Schlag, den er seinen Formularen und Untergebenen versetzt: eine Explosion, deren Hall düster durch die Baracke grollt. Wir sind in der Bürokratenhölle, im Orkus der Produktionsinspizienten. Auf einem „umzäunten Fabrikgelände, in einem fernen Land“ spielt Richard Dressers „Unter der Gürtellinie“, eine absurd-grausame Drei- Personen-Variation im Stile David Mamets über die finstren Seiten von „Männerfreundschaft“. Mit diesem amerikanischen Stück eröffnet Shooting-Star-Regisseur Thomas Ostermeier die dritte Spielzeit der Baracke des Deutschen Theaters. Wieder ein zeitgenössisches englischsprachiges Drama, wieder eine Inszenierung, die auf engstem Raum mit begrenzten Mitteln arbeitet.

In „Below the Belt“ tritt der strebsame, freundliche Dobbitt (Tilo Werner) seine Stelle als Inspektor an, gewillt, sich als guter Amerikaner ins neue Team einzufügen. Das besteht eigentlich nur aus einem einzigen Kollegen, dem boshaft-eitlen Hanrahan (Bernd Stempel), mit dem Dobbitt ein zellenartiges Doppelzimmer teilen muß – zusätzlich überwacht, gegängelt und gegeneinander ausgespielt von ihrem gemeinsamen Chef Merkin (Falk Rockstroh). Ein Netz aus Neid, Eifersucht und zum Scheitern verurteilten Freundschaftsversuchen zurrt über den Inspektoren zusammen. Im Männerbund ist diesmal einer zuviel. Die Firma als „Das Schloß“: Die Lokalisierung der Handlung im abgeschotteten, durchbürokratisierten Milieu der kleineren Angestellten bildet dabei einen Subtext, der die unausweichliche Einsamkeit jedes der Protagonisten erklärt: „Wir sind alle allein, Dobbitt, egal, wie ich mit Ihnen umgehe“, verkündet Hanrahan und damit die Philosophie eines pervertierten, kollabierenden Einzelkämpfer-Systems. Die Stärke von Dressers Groteske erwächst jedoch weniger aus der unterschwelligen Kapitalismuskritik als aus den abgründig boshaften, bedrohlich komischen Dialogen: ein Kommunikationsgemetzel aus intendierten Mißverständnissen, hinterhältigen Suggestivfragen und gehässigen Seitenhieben. Diesem Szenario fügt die Inszenierung zunächst nicht viel hinzu. Rufus Didwiszus hat ein stegartiges, den Zuschauerraum in zwei Hälften teilendes Bühnenbild gebaut, das mit kärglichem Mobiliar und in den Boden eingelassenen Gittern nicht nur die Spielorte Zimmer, Büro und Brücke über den Fluß andeutet, sondern gleichzeitig Industrie-Dekadenz, Knast und Beamtenklinik suggeriert. Hier läßt Ostermeier seine Darsteller ihre meist verbalen Hahnenkämpfe mit solcher Intensität (und nicht ohne biomechanischen Sportsgeist) austragen, daß die Wände zusammenzurücken und das kleine Theater zu erdrücken scheinen. Man lacht, schwitzt und bangt, wenn der großklobige Bernd Stempel ein einsames, unbeholfenes Tänzchen mit dem Jackett als labbrigem Partnerersatz vollführt. Wenn Falk Rockstroh der berechnende Irrsinn aus jeder Pore zu dringen scheint und er sich als Snack eine Prise Fischfutter genehmigt. Und wenn Tilo Werner sich sukzessive vom jovialen Sonnyboy zum gehetzten Psychopathen entwickelt.

Doch wo schon ein Kammerspiel angelegt ist, setzt Ostermeier noch eins drauf: Die Aufführung wird begleitet von einem Live- Streichquartett. Eine simpel-geniale Idee mit verblüffendem Effekt: Das dialoggesättigte Stück erfährt eine beinahe exotische No- Tech-Musikalisierung, wenn das nervensägende Sirren der Mücken am Fluß von den Streichern simuliert wird und die Anfälle von Wahnsinn und Alptraum halb dräuend, halb ironisch untermalt werden (Musik: Jörg Gollasch). Zugleich ein bewußt stilisierender Streich gegen den psychologischen Realismus, der in der Drei-Personen-Konstellation unvermeidlich angelegt ist.

Eine schöne Koinzidenz, daß diese Baracken-Inszenierung mit „Next Generation“, dem Berliner Festival für „junges Theater“ aus Großbritannien und den USA, zusammenfällt. Immerhin sind Regisseur Thomas Ostermeier und Dramaturg Jens Hillje so etwas wie öffentliche Trendscouts für aktuelle englischsprachige Bühnentexte. Ostermeier, wohl der deutsche Exponent jener „next generation“, setzte bisher mit jeder seiner Inszenierungen höchste und höchst geheimnisvolle Standards. Geheimnisvoll deswegen, weil es weniger eine typologische Regiemeisterhandschrift ist, die das Gezeigte mit dem Stempel „echter Ostermeier“ versehen würde, sondern weil Ostermeier sich selbst auf Texte so einzulassen weiß, daß eine stückspezifische Ästhetik entstehen kann. Den neuerlichen Beweis dafür kann man sich „Unter der Gürtellinie“ anschauen.

Sa., 5.9., Mi., 9.9. und 23.9., ab 20 Uhr, Schumannstraße 13, Mitte