Wand und Boden
: Badezimmer ohne echten Barschel

■ Kunst in Berlin jetzt: Thomas Demand, Istanbul in Berlin, Labyrinth

Von der Tür in den Hinterhof aus sieht man schon durch ein Fenster der Galerie in dreißig Meter Abstand auf einer braunen Fläche an der Wand einen gelben und einen blauen Punkt leuchten. Noch beim Eintritt in die Räume von Schipper & Krome glaubt man in eine sehr helle Lampe dort auf dem Foto zu blicken. Ein Irrtum, wie sich aus dreißig Zentimeter Entfernung herausstellt – 1:0 für den Künstler. „Barbecue“ heißt die Arbeit von Thomas Demand, die lediglich ein verlassenes Wochenendhäuschen zeigt. Auf dem Eßtisch stehen halbleere Plastikbecher, auf einer Ablage sammelt sich Abfall, daneben aufgestapelte Stühle und ein angekokelter Grill. Überhaupt wirkt die Szene ungeheuer belanglos – warum fotografiert jemand so ein langweiliges Zeug? Allmählich löst sich die Grillwurst-Idylle auf: Die Stuhlbeine sind aus Papprollen gebaut, die Teller auf dem Tisch sind aus weißem Papier, nur die Rauhfasertapete ist echt. Man steht vor einer lebensgroßen Attrappe, die exakt im gleichen Maßstab der Fotografie gebaut wurde. Trotzdem: Warum bastelt jemand so ein langweiliges Zeug?

Der 1964 in München geborene Demand folgt der Konzept- Kunst. Statt ein Foto von der Realität zu machen, schafft er nach einem Vorbild ein Bild von einem Bild. Die vermeintliche Echtheit geht allein auf den Glauben zurück, daß Fotografie stets Wirklichkeit abbilden muß. Deshalb kann Demand seine Images nicht am Computer sampeln, sondern muß sie zwecks Foto auf dem Umweg über zusammengeklebte Puppenstuben herstellen. Der Aufwand für diese Collagen ist groß, beim „Badezimmer“ sieht man selbst die Schaumbläschen auf dem Wasser. Eigentlich ist es hyperrealistische Malerei.

Weil Demand diese Zaubertricks des Handwerks aber nicht genügen, bringt er den üblichen Diskurs von Medienmacht und „kollektivem Bildervorrat“ ins Spiel. So geht das „Badezimmer“ auf den toten Uwe Barschel zurück, der in dieser Wanne auf dem Cover des Sterns lag und scheinbar schlief. Indem die Rekonstruktion auf das Opfer verzichtet, soll man die moralische Grenze des Fotojournalismus spüren. Nun ist es eben nur noch ein scheinbares Badezimmer, ohne den echten Barschel. Ein Punkt für den, der das erkennt – dann steht es 1:1 zwischen Künstler und Betrachter. Man muß abwarten, ob Demand ein neuer Spielzug einfällt. Zur Zeit jedenfalls reißen sich Museen, Kuratoren und Sammler noch um seine Readyfakes.

Bis 26.9., Di.–Fr. 12–18, Sa. 13–17 Uhr, Auguststraße 91

Berlin vergibt seit 1988 Stipendien nach Istanbul. Am Ende springt dabei eine Ausstellung im BM Contemporary Art Center heraus. Nach zehn Jahren hat man vierzig StipendiatInnen beisammen – Zeit also für eine Retrospektive. Insofern ist „Istanbul in Berlin“ vor allem eine kulturpolitische Pflichtübung.

Entsprechend gemischt und willkürlich sieht die Zusammenstellung aus: Am Eingang liegen in einer Vitrine Bücher von Dietrich Gronau, der in Sachen Literatur verschickt wurde und Texte über Mustafa Kemal Atatürk schrieb; Marietta Rohrer (Theater) hat ein türkisches „Meeresmärchen“ mit Kindern vor Ort eingeübt; und Elke Nord war bei einem Atelierfotografen, um sich traditionell mit Kopftuch porträtieren zu lassen. Daß im Katalog ständig betont wird, wie sehr die Zeit in der Fremde den Blick auf die eigene Kultur verändert hat, mag man als höfliche Geste gegenüber den Gastgebern verschmerzen.

Bei Thomas Hornemann kippt das gefühlsmäßig „Andere“ jedoch arg in Kitsch um, wenn er zwischen seine folkloristischen Zeichnungen Statements setzt wie „etwas Türkisches ist in mir“. Ansonsten haben die meisten Beteiligten Motive aus dem türkischen Alltag genommen und ohne großes Gewese in ihre eigene Formsprache übersetzt.

Werner Klotz arbeitet mit optischen Apparaturen, also hat er seine Istanbul-Fotos per Spiegelsystem in Bruchstücke zerlegt und auf die Wand projiziert; und weil der Maler Knut Beyer komplizierte Muster liebt, sind von ihm Zeitungen und Postkarten zu Arabesken zerschnippelt worden. Auch auf den Gemälden und Fotografien merkt man den Hang zum Ornament, das einem in Istanbul von der Architektur bis zu hübsch drapierten Obstauslagen ständig begegnet. Überraschend sind diese Eindrücke nicht, eher schon bestätigen sie das Bild vom verschachtelten Orient. Manchmal wird es blumig, dann tanzen verschleierte Frauen auf Videoprints von Simone Kornfeld, während Thomas Büsch die schuhputzenden Kinder am Taksim-Platz beeindruckt haben: Jetzt steht ein Schuhputzkasten als Objekt im Kunstamt Kreuzberg.

Bis 18.10., Di.–So. 12–18 Uhr, Mariannenplatz 2

Umgekehrt ist der Austausch komplizierter. Nachdem ein Gegenbesuch an der konservativen Auswahl durch die Kulturbehörden in Ankara scheiterte, zeigt jetzt die Kuratorin Beral Madra aus Istanbul im Alleingang 13 experimentelle türkische KünstlerInnen. Dafür hat sie die Katakomben in der Katzbachstraße 19 als Ort ausgesucht, um eine „Beziehung zwischen Kerker, Untergrund und Labyrinth“ herzustellen. Doch das ist bloß atmosphärisches Beiwerk, jede Arbeit hätte auch im weißen Museumsraum funktioniert – oder eben nicht. Das aber liegt an der Kunst, die viel zu sehr an eine Ausstellung aus dem Kunstschulleben erinnert: Minimale Mittel, irrer Aufwand, alles ausprobieren. Irgendwo im Dunkel hört man Schiffsgeräusche, die zu einer Installation von Sebnem Basar gehören. „Der Duft des Meeres“ ist ein kompliziertes Tableau mit lauter Schläuchen, an denen man erschnüffeln soll, daß der Bosporus nach altem Maschinenöl stinkt. Die im Gerät eingefangene Natur korrespondiert mit Ali Kocakayas überdimensionalem Schallrohr, durch das ein sonor brummender Ventilator wie Meeresrauschen klingt. Ein Großteil der anderen Arbeiten verliert sich im Raum.

Hinter diversen Pfeilern taucht plötzlich eine Fotodokumentation von Sükran Mertcan auf, die jeden Tag des Februars mit Kreide an wechselnden Häuserecken markiert hat, und Gürdal Yücel kombiniert Fotokopien von Völkerwanderungskarten und wachsenden Embryos, als Zeichen für globalen Wandel. Man merkt den Willen zur Einmischung, aber das Ganze verzettelt sich in Metaphern.

Bis 8.9., täglich 14–18 Uhr Harald Fricke