Fit für den Umzug

Rund 9.000 Bonner kommen im Sommer nach Berlin. Um Wohnraum zu schaffen, läßt der Bund einiges bauen und renovieren. Viel zu spät, kritisieren die Grünen  ■ Von Markus Frenzel

In Berlin gibt es zwar keinen Karnevalsumzug, dafür aber die Love Parade. Als Ersatz für entgangene Karnevalsekstasen lockt der Techno-Umzug auch manchen Bonn-Berlin-Umzügler an. Zum Beispiel Kirsten Bürger. Die 35jährige arbeitet im Bundesbauministerium. Im Juni vergangenen Jahres zog die adrette Blondine mit ihrem Ressort nach Berlin um. An das quirlige Leben der Metropole hat sie sich längst gewöhnt. In Schöneberg haben die Bürgers eine 100-Quadratmeter-Altbauwohnung gefunden. Gleich in der Nähe wohnt eine gute Freundin. „Wir fühlen uns in Berlin sauwohl“, sagt Bürger. Der Umzug aus der Ex-Hauptstadt sei ihr nicht schwergefallen. „Ohne Kinder und eigenes Häuschen ist das aber auch einfacher.“

Nicht jedem Beamten fällt der Umzug nach Berlin so leicht wie Kirsten Bürger. Doch an einem Ortswechsel führt laut Beamtengesetz für viele kein Weg vorbei. Denn egal, ob er „acht Kinder, eine berufstätige Frau und ein Eigenheim im Grünen hat“ (Bundesbroschüre) – wenn der Beamte gebraucht wird, muß er umziehen. Etwa 9.100 Staatsdiener werden in der Hauptstadt erwartet. Bis zum Sommer 1999 müssen sie ihr Quartier bezogen haben. Bis dahin sollen in den Ministerien „Berlin- Zimmer“ mit Informationen über die verschiedenen Berliner Bezirke, über Kitaplätze, Schulangebote und die Verkehrsanbindungen die Umzügler schon mal einstimmen.

Derweil läßt der Bund in und um Berlin für seine Beamten bauen und renovieren. 3.200 Alliiertenwohnungen sollen für die Bonner hergerichtet werden. Hinzu kommen zahlreiche Neubauprojekte, laut Bauministerium mehr als 60 Maßnahmen.

In einem Seitentrakt des ehemaligen Staatsratsgebäudes der DDR an der Breiten Straße sitzt der Umzugsstab des Bauministeriums. Hier wird der Wohnungsbau für Staatsbeamte geplant. „9.100 Wohnungsprojekte werden von der Baubehörde koordiniert“, sagt Wolfgang Jenders vom Planungsstab. Dazu mußte sich der Bund 1991 verpflichten, als die Umzugsmodalitäten mit dem Berliner Senat ausgehandelt wurden. Der Wohnungsmarkt sollte nicht zusätzlich belastet werden. „Wir lassen für etwa 1,5 Milliarden Mark bauen, überwiegend auf bundeseigenen Grundstücken“, sagt Jenders. Zwischen Pankow und Steglitz entstehen ganze Siedlungen neu.

Paradestück ist das Stadtquartier auf dem Moabiter Werder. In Serpentinenform liegt der moderne Wohnkomplex zwischen Spree und S-Bahn, gerade einmal einige hundert Meter vom Reichstag entfernt. Einziehen sollen hier Bundestagsabgeordnete und Angestellte der Parlamentsverwaltung. Zur S-Bahn-Seite liegen die Flure und Treppenhäuser. Die Wohnungen sind zur Spree hin geöffnet. Das Konzept – Wohnkomfort plus Natur in zentraler Lage ohne Krach – scheint aufzugehen. „Gerade bei Bundestagsabgeordneten, die nur in der Woche in Berlin arbeiten werden, sind die 718 Wohnungen schon jetzt sehr begehrt“, heißt es im Umzugsstab.

Neben Citywohnungen setzt der Bund auf das klassische Häuschen im Grünen. Gegenstück zum Moabiter Werder ist die „Gartenstadt“ bei Spandau. Auf dem ehemaligen Flughafen Gatow entsteht eine exklusive Beamtensiedlung. Villen, Reihen- und Atriumhäuser in vornehmster Lage: Gleich vor der Haustür können die Kids im Glienicker See planschen, während die Seniors in fünf Radelminuten beim Golfplatz sind. Das Ganze mit Schnellbusanbindung zum Regierungsviertel.

Viele Bonner schauen sich selbst auf dem Wohnungsmarkt um. „In den letzten acht Wochen hat die private Nachfrage enorm zugenommen“, heißt es beim Verband Deutscher Makler. Besonders beliebt: das Berliner Umland, kleine Orte wie Falkensee, Hohen- Neuendorf oder Groß-Glienicke. Der Grund laut Maklerverband: „Bei niedrigeren Grundstückspreisen können sich viele Bonner dort ein Eigenheim im Grünen leisten.“ Auch der Bund hat den Preisvorteil erkannt. 2.000 seiner 4.000 Eigentumsmaßnahmen sollen demnächst im Berliner Umland entstehen.

Franziska Eichstädt-Bohlig, wohnungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, bestätigt den Trend. „Viele Bonner machen dieses Jahr strategischen Urlaub in und um Berlin.“ Zahlreiche Umzügler schauten sich lieber selbst nach einer Wohnung um, vor allem in Brandenburg. „Absolut zu spät“ haben sich Bund und das Land Berlin um den Bau von Wohnungen gekümmert. „Der Zeitplan ist eine mittlere Katastrophe“, sagt Eichstädt-Bohlig. Die meisten der Bundessiedlungen seien gerade mal in der Planungsphase und bis zum Sommer 1999 garantiert nicht bezugsfertig. Was bleibt, ist Eigeninitiative.

Nutznießer ist das Land Brandenburg. Neben den mehr als 35.000 Berlinern, die laut Senatsverwaltung Jahr für Jahr in den Brandenburger Speckgürtel ziehen, werden die Kommunen gerade im Südwesten Berlins Zuwachs bekommen. Herbert Pelz, zweiter Bürgermeister von Groß- Glienicke, bekommt strahlende Augen, wenn er von den Umzüglern spricht. Von ihnen erwartet er vollere Steuersäckel für die Gemeinde und einen Aufschwung des Einzelhandels. „Die Bonner haben eine ganz andere Kaufkraft“, sagt Pelz. Deshalb verspricht Pelz schnelle Genehmigungsverfahren für den Hausbau. Der Gemeinderat zeigt sich kooperativ. Pelz: „Wenn wir nicht unbürokratisch handeln, bleibt Groß-Glienicke ein Nest.“