Schumanns Eigenheim

■ Schluß mit Asphaltwüsten, Lärm, Abgasen. Immer mehr Berliner zieht es ins Grüne

Fremde Häuser, fremde Sitten: Raus aus den ollen Straßenschuhen, hinein in die Besucherpuschen. Bei den Schumanns müssen die Gäste ihr Schuhwerk wechseln, bevor sie die Terrakottafliesen des neuen Eigenheims betreten können. „Wenn der Fußboden schön bleiben soll“, erklärt der Hausherr, „macht sich das auf Dauer bezahlt.“

Vor einem halben Jahr zogen Ralf und Silke Schumann mit ihren beiden kleinen Kindern von Frankfurt am Main in ihre Doppelhaushälfte am Berliner Stadtrand. Gartenstadt Großziethen nennt sich die Neubausiedlung. Von idyllischem Pflanzenwuchs, wie man ihn sich für eine Gartenstadt vorstellt, ist auf den winzigen eingezäunten Grundstücken noch keine Spur. Lediglich ein paar Rasenflächen sind angelegt; hier sprießt ein ein kleiner Heckensetzling, dort ein noch etwas fipsiger Busch. Karge Terrassenlauben in Reih und Glied beherrschen die Gartenansicht der Häuser. Doch auf dem Schumannschen Fleckchen hat sich schon etwas getan: Hier gibt es eine Sandkiste und ein buntes Klettergerüst für die Kinder.

Rund 38 Doppelhaushälften und zwei Dreifamilienhäuser sollen auf dem Areal entstehen. Die ersten 16 Häuser sind fertig, sieben Haushälften werden erst bewohnt. Die jüngsten Gebäude sind noch eingerüstet. Der Lärm von Betonmischmaschinen und träge vorbeiziehenden Lastwagen wird die Bewohner wohl noch über Jahre begleiten.

„Wir waren die Dritten, die hier hingezogen sind“, erzählt Silke Schumann, 33jährige Hausfrau und Mutter. Trotz aller Unbillen der Stadtrandbaustelle wohnt die Familie gerne hier. Das soziale Umfeld bürgt fürs Wohlbefinden, die Nachbarn sind alle Gleichgesinnte. „In einer Neubausiedlung findet sich stets dieselbe Kategorie Mensch“, sagt Frau Schumann. Den „gestandenen Mittelstand“ zieht es nach draußen in die Vorstadt. Vor allem Ehepaare mit kleinen Kindern. Nicht allein die Siedlung befindet sich hier im Aufbau, sondern auch die Familien: „Jeder, der herzieht, fängt irgendwie neu an, man findet sehr schnell Anschluß.“ Ein Haus in Dahlem etwa, „wo man sich schon schick machen muß, wenn man nur auf seiner Terrasse sitzen will“, wäre den Schumanns ohnehin „viel zu abgehoben“.

Ein Eigenheim im Grünen, jenseits vom Lärm der Hauptstadt – ein Traum, den sich heute immer mehr Menschen leisten. Etwa 30.000 Berliner zogen allein im vergangenen Jahr nach draußen. Ein Trend, auf den die Baubranche mit unzähligen Eigenheimprojekten reagiert – ob in Großziethen, Rangsdorf, Ahrensfelde, Woltersdorf oder Falkensee. Dennoch, trotz großer Nachfrage stehen in Großziethen bislang noch mehr als 50 Prozent der fertigen Häuser zum Verkauf. „Es ist den Berlinern immer noch schwer zu vermitteln, daß sie mit dem Kauf von Wohneigentum gleichzeitig etwas für ihre Altersversorgung tun“, sagt Ingo Meye, Verkäufer bei der Deutschen Immobilien-Investierungs- Aktiengesellschaft, die auch den Schumanns zu ihrem Haus verholfen hat.

Bis zum Mauerfall galt Berlin als typische Mieterstadt. Durch Preisbindungen wurden die Mieten künstlich niedrig gehalten. Städte wie Hamburg oder Bremen hatten damals schon einen Eigentumsanteil von 20 bis 30 Prozent, während hier höchstens acht Prozent der Bevölkerung in den eigenen vier Wänden wohnten. Heute beläuft sich der Berliner Eigentumsanteil auf immerhin 12 Prozent, Tendenz steigend.

Tatsächlich ist der Erwerb von Wohneigentum im Moment so günstig wie noch nie: Mit weniger als 5,5 Prozent sind die Hypothekenzinsen derzeit auf einem historischen Tiefstand. Eine Tendenz, die auch in näherer Zukunft noch andauern soll. Der Verband Deutscher Hypothekenbanken (VDH) rechnet in den nächsten Monaten mit weiteren Punktverlusten. Kein Wunder, daß sich die Branche derzeit über einen Nachfrageboom nach Krediten für den Bau selbstgenutzter Eigenheime freuen kann. Wegen der günstigen Zinsen gab es allein innerhalb der vergangenen drei Monate beim Bau von Einfamilienhäusern einen Zuwachs von 30 Prozent. Wohneigentum zahlt sich zur Zeit aus.

Etwa 600.000 Mark kostet zum Beispiel eine Doppelhaushälfte in der Gartenstadt Großziethen. Bei einem Zinssatz von 5,5 Prozent, plus 1 Prozent Tilgung, zahlt der Käufer insgesamt 6,5 Prozent auf 100.000 Mark Hypothekendarlehen jährlich. Bei einem Darlehen von 400.000 Mark sind demnach im Jahr 26.000 Mark für das Haus abzuzahlen, was einer monatlichen Belastung von 2.166 Mark entspricht. Plus dem monatlichen Wohngeld von 400 Mark.

Doch seit Januar 1996 gibt es staatliche Zuschüsse, die Eigenheimzulage. Ehepaare, die zusammen nicht mehr als 240.000 Mark brutto pro Jahr verdienen, bekommen acht Jahre lang eine jährliche Grundförderung von 5.000 Mark. Hinzu kommen 1.500 Mark Baukindergeld pro Kind. Auch die Familie Schumann sahnt so 8.000 Mark pro Jahr ab. Das eigene Haus kostet die Schumanns so umgerechnet statt 2.566 nur 1.916 Mark im Monat, ein Betrag, der deutlich unterhalb der ortsüblichen Mieten für Wohnhäuser liegt.

Zwar wird es gut 20 Jahre dauern, bis das Haus abgezahlt ist, aber „es gehört ja irgendwie uns“, sagt Silke Schumann. Von Bindungsängsten in Zeiten, in denen die totale Flexibilität gepredigt wird, bei den Schumanns keine Spur. Im Gegenteil: Das Haus gibt Sicherheit. „Man kann es ja jederzeit verkaufen.“ Das hofft Ralf Schumann jedenfalls. „Und wenn man aus einem Mietobjekt plötzlich ausziehen will, findet man garantiert keine Nachmieter“, sagt er. Aus dem Mietvertrag für das letzte Haus in Frankfurt gab es kein vorzeitiges Entkommen. Ein eigenes Heim, gerade in Zeiten der Rezession, darin sind die Schumanns sich einig, „das zeigt vor allem eines: daß es irgendwie weitergeht im Leben“. Kirsten Niemann