Erdwärme – permanent unterschätzt

■ Weltweit wird durch Geothermie mehr Strom erzeugt als durch alle anderen regenerativen Energien zusammen. Erdwärme ist keine Restwärme: Sie entsteht durch radioaktiven Zerfall

Ist von regenerativer Energie die Rede, denkt jeder an Sonne, Wind und Wasserkraft, aber kaum an Erdwärme. Sie ist die einzige erneuerbare Energie, die selbst von Umweltverbänden unterschätzt wird. Der Grund ist vielleicht, daß diese Energie nur schwer zugänglich ist. Schließlich verbirgt sie sich – zumindest in Deutschland – viele Kilometer unter der Erdoberfläche, zumeist enthalten in massivem Kristallingestein. Erdwärme hat als Energiequelle Zukunft. Allein die Wärme, die in den oberen zehn Kilometern der Erdkruste steckt, würde ausreichen, um eine Million Kraftwerke mit einer Kapazität von jeweils 200 Megawatt 10.000 Jahre lang zu betreiben. Und schon heute liefert – global gesehen – die Geothermie mehr Strom als alle anderen regenerativen Energien zusammen; nach Zahlen des World Energy Council stammt mehr als 80 Prozent des zur Zeit regenerativ erzeugten Stroms aus Erdwärme.

Üblicherweise nutzen die Kraftwerke heißes Wasser, das sie aus dem Untergrund fördern. Damit aber sind die Möglichkeiten der Erdwärmenutzung unnötig beschränkt, weil es nicht überall dort, wo die Erde warm ist, auch Wasser gibt. Wissenschaftler tüfteln daher zunehmend an Methoden, auch die Hitze trockenen Gesteins, die ein weitaus größeres Potential bietet, nutzbar zu machen.

„Hot-dry-rock“ – heißer trockener Fels – so nennt sich ein Verfahren, das derzeit in Mitteleuropa erforscht wird. Es gibt zwei große Forschungsprojekte, die in den zurückliegenden Jahren darauf ausgerichtet waren, den trockenen Stein energetisch zu nutzen. Eines war in Bad Urach auf der Schwäbischen Alb. Dort nimmt die Temperatur mit der Tiefe schneller zu als in den meisten anderen Regionen. In gut 4.400 Meter Tiefe liegt die Temperatur bereits bei 175 Grad und ist damit hoch genug für die Stromgewinnung. Das sollte folgendermaßen geschehen: Durch eine Bohrung wurde kaltes Wasser in den Untergrund gepreßt, das sich in Rissen und Klüften verteilte und aufheizte, bevor es durch eine zweite Bohrung wieder zutage gefördert wurde. Das Wasser war so heiß, daß sich mit einer Dampfturbine die Stromerzeugung lohnte.

In Bad Urach ließen sich bei einer Zirkulation von 75 Litern Wasser pro Sekunde 30 Megawatt thermische und 3 Megawatt elektrische Leistung gewinnen. Der Preis dieses Stroms war akzeptabel: Zwischen 21 und 25 Pfennig kostete die Kilowattstunde. Aus einem ein Kubikkilometer großen Gesteinsblock, so die Berechnungen in Urach, ließen sich bei Abkühlung von 200 auf 100 Grad über einen Zeitraum von 30 Jahren 300 Megawatt gewinnen. Der Strom würde für eine Stadt mit 150.000 Einwohnern ausreichen. Doch das Projekt ruht inzwischen, weil das Bohrgestänge brach. Die Stadtwerke allein waren nicht mehr in der Lage, das Geld für weitere Forschungen aufzubringen. Ein zweites Forschungsprojekt, gefördert durch die EU, wird seit 1987 in Soultz- sous-Forêts im Elsaß vorangetrieben. Es gilt als das derzeit weltweit führende Hot-dry-rock-Projekt.

Theoretisch kann die Erdwärme an jedem Punkt der Erde genutzt werden – man muß nur tief genug bohren. Um etwa 30 Grad je 1.000 Meter nimmt die Temperatur im Durchschnitt zu, an manchen Orten deutlich mehr. Je weniger man bohren muß, desto wirtschaftlicher wird das Projekt. Die thermische Nutzung der Erdwärme, etwa zur Raumheizung oder als Prozeßwärme, kann auch bei Temperaturen deutlich unter 100 Grad schon sinnvoll sein, die Stromerzeugung beginnt bei etwa 170 Grad wirtschaftlich zu werden. Als „regenerativ“ gilt Erdwärme, weil sie sich auf Jahrmillionen hinaus erneuert. Denn anders als vielfach vermutet, handelt es sich dabei nicht primär um Restenergie aus Zeiten des glühenden Erdballs: 70 Prozent der Wärme, die in den oberen Kilometern des Erdbodens steckt, wird durch radioaktiven Zerfall von natürlich vorkommenden Elementen erzeugt. Und dieser Prozeß kann noch eine ganze Weile so weitergehen. B. Janzing