In Helmond geht die Sonne auf

■ Das Geschäft mit der Sonnenenergie in Deutschland boomt. Die weltweit größte Solarzellenfabrik wollen die Deutsche Shell AG und Pilkington Solar in Gelsenkirchen bauen. Doch es gibt noch viel zu tun. Ein Blic

14 Uhr, Schichtwechsel in der kleinen Fabrikationshalle von Shell-Solar in Helmond. Rap-Musik tönt aus dem Lautsprecher. Lissie Brod kontrolliert ihren Materialvorrat. Lötkolben, Schere, jede Menge Metalldraht und reichlich Tesafilm. Ein kurzer prüfender Blick, die Spitze des Lötkolbens dampft schon, und dann wird im Takt der Musik Solarzelle für Solarzelle zu sogenannten Strings zusammengelötet. Mühselige Handarbeit. Die Zellen werden auf spezielle Glasplatten gelegt, mit Tesafilm werden sie in einer Reihe hintereinander provisorisch festgemacht. Dann kommt der Draht, der Lötkolben, und die Zellen werden Reihe für Reihe, Zelle für Zelle miteinander verbunden.

Lissie Brod ist zufrieden. Sie war zwei Jahre arbeitslos und hat nun bei Shell-Solar einen festen Arbeitsplatz gefunden. 1.500 Mark verdient sie netto. „Die Arbeit macht mir Spaß, und es ist ein gutes Gefühl, ein umweltfreundliches Produkt herzustellen“, meint die junge Solar-Arbeiterin. Wenn man sich in Helmond umsieht, wird einem schnell klar, warum eine Kilowattstunde Solarstrom heute mit 1,70 Mark fast siebenmal soviel kostet, wie konventionell erzeugte Elektrizität. Handarbeit bestimmt den Produktionsausstoß der Solarzellenherstellung. Und wohin der Blick auch fällt, das solare Zeitalter steckt noch in den Kinderschuhen, die Produktion gleicht mehr einer etwas zurückgebliebenen Manufaktur. In einer Ecke der Halle läuft tatsächlich eine halbautomatische Maschine. Mit kleinen Saugnäpfen werden mehrere Zellen auf eine Ablage gelegt. Dann wird von einer Kabelrolle Draht abgespult und sofort fährt ein computergesteuerter Lötkolben von oben nach unten, von unten nach oben und setzt punktgenau die Lötstellen fest. Plötzlich: Zisch, ein kurzes Pfeifen, der Draht ist gerissen, die Anlage steht still. „Das kommt öfter vor“, meint einer der Arbeiter. Also steht die Produktion wieder still. Mal 20 Minuten, mal durchaus auch länger, wenn zum Beispiel keiner der Techniker weiß, warum das verflixte Ding an allen Ecken und Kanten Druckluft abläßt – nur nicht da, wo es eigentlich von der Konzeption des magischen Solar-Löters vorgesehen ist. Von solchen Produktionsunterbrechungen mal ganz abgesehen, der ganze Apparat erinnert eher an ein technisches Provisorium, an eine Art „Trix- Baukasten“ für kleine Solar- Freunde. Ähnliche Eindrücke kann man auch von der Zellenproduktion mit nach Hause nehmen. Mal kocht das Salzsäurebecken über. In solchen Becken werden die Silizium-Wafer gereinigt. Hier erinnert der Produktionsablauf eher an die Braterei mit einer überdimensionierten holländischen Friteuse. Mal versagt plötzlich die Druckluftzuleitung, und die ganze Produktion steht wieder still.

Doch während deutsche Unternehmer Probleme mit einer solchen Werksbesichtigung hätten, geht der holländische Manager Gosse Boxhoorn ganz lässig mit den „kleinen Ausfällen“ um. Er fühlt sich als Pionier, und als solcher ist er auch bereit, Lehrgeld zu zahlen. „Wir müssen noch viel tun. Heute lassen sich Autos am Fließband einfacher produzieren als Solarzellen“, meint Boxhoorn. Und das könne, so der promovierte Geschäftsführer von Shell Solar B.V., so nicht bleiben. Der junge Solar- Manager ist davon überzeugt, daß die enorm hohen Fertigungskosten in den nächsten Jahren massiv heruntergefahren werden können. Die Produktion von Solarzellen und -modulen, die heute noch einen großen Anteil manueller Arbeit erfordert, werde künftig weitgehend automatisch erfolgen. Boxhoorn: „Was bei anderen High- Tech-Produkten möglich ist, wird auch in der Solarzellenproduktion schon bald Realität sein.“ Rund eine Milliarde Mark will Shell in den kommenden vier Jahren in die Entwicklung der Photovoltaik investieren. Während in Helmond im Dreischichtbetrieb jährlich etwa 1,2 Millionen Solarzellen produziert werden, sollen in Gelsenkirchen ab Mitte 1999 rund 13 Millionen vom Band laufen.

Von dem auf 1,7 Milliarden Mark geschätzten Weltmarktvolumen für Solarenergie will sich Shell bis zum Jahre 2005 rund zehn Prozent sichern. Bislang geht der überwiegende Teil der holländischen Solarproduktion in den Export. Mit Unterstützung des Entwicklungsministeriums in Den Haag werden solare Netzwerke in Entwicklungsländern gefördert. „So ist ein großer Teil unserer Produktion bereits verkauft, bevor sie die Halle verläßt“, freut sich Boxhoorn. Von einer vergleichbaren politischen Unterstützung können deutsche Hersteller bisher nur träumen. Mit der Produktion der Solarzellen allein läßt sich jedenfalls der Einstieg in das Solarzeitalter noch nicht bewerkstelligen. Was fehlt sind umfangreiche, politisch gewollte Markteinführungsprogramme, um so durch eine große Nachfrage auch zu einer für den deutschen Binnenmarkt interessanten Kostensenkung zu kommen. Seit Jahren macht sich der SPD-Bundestagsabgeordnete und Präsident von Eurosolar, Hermann Scheer, für ein 100.000-Dächer-Programm stark. Doch in Bonn passiert so gut wie nichts. „Wenn wir diese Chance verschlafen, dann haben demnächst Amerikaner und Japaner wieder die Nase vorn“, schimpft Scheer. Gerade die systematische Förderung der Sonnenkraft als heimische Energiequelle, so Scheer, könnte für den Industriestandort Deutschland immer wichtiger werden. Allein in diesem Jahr wird für die Marktstützung der deutschen Steinkohle 400mal mehr Geld zur Verfügung gestellt als für die Markteinführung der Solarenergie. Scheer plädiert deshalb für ein bundesweites Konversionsprogramm. Die Umlenkung der Kohlemilliarden in den Aufbau von Solarregionen könnte gerade die Kumpel davor bewahren, arbeitslos zu werden. Mit einem Fördervolumen von knapp acht Milliarden Mark ließe sich ein 500.000- Dächer-Programm realisieren. „Theoretisch könnten dann alle Bergleute umgeschult werden, und die neue deutsche Solarindustrie könnte dann im globalen Wettbewerb mithalten“, meint Scheer. Aber nur, wenn die Produktion auch den qualitativen Sprung von der Manufaktur hin zur High- Tech-Fabrikation schafft. Bis dahin, das zeigt das Helmond, ist jedenfalls noch ein weiter Weg. Michael Franken