Kampf den Kampf Zwischenräumen

■ Hartmut Neumann versucht sich in der Städtischen Galerie an einer groß(formatig)en Rehabilitation der naiven Malerei, von Üppigkeit und Natur

Genau wie Rousseau. Sicherlich denken 99 Prozent der Besucher gleich nach Betreten der Städtischen Galerie diese drei Worte: genau wie Rousseau. Nur größer, patziger gemalt – und anders. Denn der alte Zöllner und Autodidakt malte so, wie er malte, einfach so, tendenziell unreflektiert, sein(en) Leben(sabend) lang. Hartmut Neumann dagegen ändert seine Malweise, seine ästhetischen Überzeugungen, sich selbst. Außerdem malt er mit Kenntnis der Kunstgeschichte im Rücken: Breugel, Savery (ein flämischer Landschaftsmaler um 1600), aber auch die allerjüngsten amerikanischen Pop Art-Nachfahren. Und er denkt bevor er malt. Muß er auch. Schließlich ist der begeisterte Wahlkölner (“die haben Humor“) Prof in Braunschweig.

Früher setzte er Elvira Bach-Menschen in torkelnde Räume. Seit 1993 aber malt er das Paradies – als menschenfreie Zone, also nach der Vertreibung von Adam und Eva. „Menschen. Da wüßte ich gar nicht mehr, wie man das machen sollte“, meint der keineswegs misanthropisch wirkende Maler. „Menschen passen da nicht rein.“ Dafür jede Menge Krummhöckeriges: Flamingos, Nashörner, Tapire, Gürteltiere, aber auch Gradbeiniges wie Okapis, Vögel, Zebras und beliebte Haßobjekte des Menschen, wie Spinnen, Käfer und stachelige Raupen. Neumanns Lieblingstier aber ist die Katze – vielleicht weil auch sie die Menschen eher meidet. Malen tut er sie aber nicht. „Das konnte nur Erich Heckel.“ Alle anderen Maler verunstalteten die Katze zu einer niedlichen Kreatur. Niedlich allerdings sind auch Neumanns Viecher, sogar die Spinnen. Relativ arbeits- und gefühllos stehen sie zwischen Busch und Baum, als wären sie praktizierende Zen-Buddhisten. Die blutgierigen Löwen Delacroixs sind längst ausgestorben. Die ganzen fiesen animalischen Überlebenstricks des Tarnens und Köderns, die einst Grzimecks „Welt der Tiere“ für die Sozialisation von Teenagern so spannend machten, fehlen.

Ein Globetrotter ist Dschungelmaler Neumann seltsamerweise nicht. Doch liebt er die Natur mit Herz und Hirn. Er rennt in jeden Zoo, der ihm unterkommt, erzählt von der Fasanen- und Wellensittichzucht des Vaters, damals, in Delmenhorst, und findet Natur spannender als Psychisches und Soziologisches. „Gegen die Natur kommt nichts an.“ Auch besitzt er eine kleine Bibliothek der Tierbücher – zum Zwecke des Abmalens. Seine Pflanzenwelt aber stammt nicht aus dem Sachbuch, sondern aus Fantasie und Kunstgeschichte. Oft sind Bäume stilisiert wie in mittelalterlicher Malerei: als Fächer oder Addition von Wattebäuschen. Blüten sind sperrangelweit geöffnet und recken ihr Inneres exhibitionistisch dem Betrachter entgegen. Knospen gibt es nicht. Im Paradies ist alles prall. Nur ein einziges Mal sieht man lauszerfressene Blätter.

Oft wächst eine Sache aus einer ganz anderen heraus: Blüten brüten Staubfäden aus, Fruchtbommel treiben Blätter aus. Genauso oft ist irgendwas in etwas anderes eingebettet wie ein Embryo in einer Gebärmutter: Eine Blüte ruht in einen Kreis. Es ist ein Sehnen, Streben und Umarmen. „Malerei ist immer irgendwie religös und erotisch.“

Und mühsam! „Nicht, daß ich gerne so akribisch arbeite. Ich bin nämlich kein Feinmechaniker. Aber da muß man eben durch.“ Durch ist Neumann bei den großen Formaten (bis zu 15 qm, also so groß wie bei anderen Leuten das Schlafzimmer) nach drei, vier Monaten. Viel Schinderei, aber das schnelle Selbstverwirklichungszeug der Kollegen ist für Neumann nicht mehr zeitgemäß. „Kontrolliertheit“ und „Präzision“ sind Lieblingsbegriffe. „Das Expressive habe ich immer weiter rausgedrängt.“ Daß er so beim Duktus der Naiven angelangt ist, ist für Neumann kein Protest gegen die Moderne, sondern deren Weiterdenken. „Ohne die Installationen der 70er Jahre wären meine Bilder nicht möglich.“ Gewagter Satz. Die perspektivischen, farblichen, thematischen, stilistischen Brüche der Kollegen findet man – wenn man sich recht anstrengt – bei Neumann wieder; „nur diffizieler“: ein viel zu heller, viel zu dünner Himmelsstreifen; ein querständiger rosa-hellblauer Fleck; informelles Getröpfel; gewagte Pink-Grün-Lila-Kombinationen. „Man muß sich permanent mit allen alten und neuen Richtungen der Kunst beschäftigen. Den einen oder anderen kleinen Aspekt kann man immer für seine eigene Arbeit fruchtbar machen.“ Ein bekennender Eklektizist.

Das hindert Neumann aber nicht daran, gewisse Doktrinen und stillschweigende Vereinbarungen des Kunstmarkts über das, was sich gehört und was nicht, skeptisch zu beäugen. „Heute redet man immer vom Reduzieren“, meint er entnervt. Auch Neumann liebt die Leerstellen – „das Schwierigste sind die Zwischenräume“ – aber nur um sie zuzumalen.

Wie in Pollocks All-overs oder einem gotischen Gemälde gegen den horror vacui ranken sich Blätter, Ähren, Tannenzapfen bis in den letzten Bildwinkel hinein. Nicht umsonst ist Neumann Sammler von überbordender afrikanischer Malerei und von Art brut, den Irren aus Gugging wie Adolf Wölfi, dem berühmtesten Nichter von Leerstellen. Einmal gibt es sie doch, die Leere, den Flecken leeren Himmel mitten im Bild. „Der Sehnsuchtsblick.“ Für Neumann ist er so kitschgefährdet, daß er ihn durch eine dunklere Kopie hinterfragt: Die eine große Sehnsucht gibt es nicht, sondern mindestens zwei davon.

Feige umschiffte die Nachkriegsmalerei das Thema Natur, von wenigen Ausnahmen (Salomes Seerosen, Bernd Zimmers Alpenbilder, Gerhard Richters verschwommene, graue Seelandschaften) abgesehen. Ob Neumanns Blättermeere die Lücke füllen oder Natur zum Ornament vergewaltigen, kann man sich fragen. „Ornament ist Verbrechen“, hieß es mal zu Anfang des Jahrhunderts. So oder so ist Neumanns kritisch-euphorische Einstellung gegenüber der Moderne hochinteressant. Ach ja, Fotografien gibt es auch. Diese Dokumente eines Sammelwütigen (vom Steiftier zum Überraschungsei) sind anders als die Gemälde. Ein zweiter Rousseau ist Neumann eben nicht.

B.Kern

Buntentorsteinweg 112, bis 4.10.