„Verlieren? Egal!“

Traurig und lustlos gehen einstige Tennishelden wie Jewgeni Kafelnikow bei den US Open ihrem Tagwerk nach  ■ Aus New York Thomas Hahn

Die Geschichte, wie Jewgeni Kafelnikow aus Sotschi in Rußland ein trauriger Tennisspieler wurde, ist schnell erzählt: Als er 18 Jahre alt war und träumte, wie einer träumt, der noch nichts erreicht hat, wurde er ein Profi. Er gewann seine ersten Spiele, er verlor und lernte daraus. Er wurde besser und besser, er gewann gegen berühmte Leute, er verlor seltener, er gewann sein erstes Turnier, er gewann mehrere Turniere, er verdiente viel Geld, er gewann 1996 die French Open in Paris, er wurde Dritter der Weltrangliste, er verdiente noch mehr Geld, er erfüllte sich seine Träume. Er gewann und verdiente und verlor ab und zu, verlor, gewann, verdiente, verdiente, gewann, verlor. Und eines Tages war er so frustriert, wie er es jetzt ist.

Kafelnikow ist erst 24, aber er redet schon wie ein alter Mann, den sein langes Leben müde gemacht hat. „Wenn du jung bist“, sagt er, „ist für dich noch alles ein Abenteuer.“ Für ihn ist das Spiel zur Routine geworden nach sechs Jahren auf der Profi-Tour. In Runde zwei der US Open in New York besiegte er den 20jährigen Deutschen Tommy Haas 7:5, 6:2, 1:6, 7:5, saß danach zusammengefaltet im Presseraum und fand alles ziemlich sinnlos. „Erfahrung“ habe dem Konkurrenten gefehlt, um ihm beizukommen, sagte er. Sein eigenes Spiel? Keine Verbesserung, keine Verschlechterung, keine Veränderung. „Nichts passiert. Die alte Geschichte. Fast jede Woche Wettkampf, Spiele gewinnen, Spiele verlieren. Und alles ist beim alten geblieben.“ Der junge Haas trug während der Partie seine Gefühle zum Spielstand im Gesicht: Zuversicht, Zweifel, Horror vor der Niederlage.

Bei Kafelnikow sah man gar nichts. Und während Haas später zu analysieren versuchte, warum er seinen 5:1-Vorsprung im ersten Durchgang nicht zum Satzgewinn ausbauen konnte, sprach Kafelnikow fatalistisch von seiner nächsten Aufgabe gegen den Deutschen Nicolas Kiefer: „Ein anderer Tag. Nichts weiter. Ich werde spielen. Hoffentlich gewinne ich. Wenn ich verliere – auch egal.“

Man kann sich eigentlich gar nicht vorstellen, daß einer wie Kafelnikow, der durch alle Erdteile der Welt düsen darf, um dessen Job ihn Millionen von Sportfreunden beneiden, der prominent ist und reich, so tief in den Frust über sein Tagwerk rutschen kann.

Selbst mancher Kollege begreift das nicht. „Wenn der Herr Kafelnikow ein Motivationsproblem hat, stimmt was nicht“, findet der Österreicher Thomas Muster. Der ist fast 31, seit 13 Jahren Profi, auch French-Open-Gewinner gewesen (1995), einmal sogar kurz Weltranglisten-Erster (1996). Und hetzt trotzdem noch leidenschaftlich die Grundlinie entlang; was freilich den 18jährigen Russen Marat Safin nicht davon abhielt, ihn in der dritten Runde 6:4, 6:4, 1:6, 6:3 aus dem Bewerb zu kicken und ins Achtelfinale vorzurücken gegen den amerikanischen Weltranglisten-Ersten Pete Sampras (6:2, 6:3, 6:1 gegen Mikael Tillström aus Schweden).

Aber Kafelnikow ist nicht der einzige, dem sein Sport zur Last geworden ist. Der Spanier Sergi Bruguera (27), French-Open-Sieger 1993 und 1994, ist schwer aus der Form geraten und seit Ende 1997 von Rang acht der Weltrangliste auf 105 abgestürzt. Er hat momentan einfach keine Lust auf Tennis. Zwei Monate nach den diesjährigen French Open stoppte er die regelmäßige Trainingsarbeit. In New York spielte Bruguera kaum einen vernünftigen Ball, und der Münchner Oliver Gross fertigte ihn in Runde zwei 6:1, 6:3, 6:4 ab.

Hinterher erzählte Bruguera: „Mein Geist ist nicht mehr, wie er einmal war.“ Und Petr Korda (30), im Januar strahlender Gewinner der Australian Open, kündigte nach seiner Erstrundenniederlage gegen den Münchner Qualifikanten Bernd Karbacher an, sich für eine Weile vom Berufsleben zurückzuziehen. Denn: „Mein Geist ist müde.“ Manchem wird eben ab einem gewissen Zeitpunkt der ganze Sport zu öde.

Es ist ja auch in der Tat nicht so, daß Tennisspielen ein besonders abwechslungsreicher Beruf wäre: Eigentlich tut einer wie Kafelnikow immer das gleiche: Er drischt auf kleine gelbe Filzkugeln. Bis zum Rücktritt. Aufschlag, Vorhand, Rückhand, dazwischen mal ein Lob oder Volley, aber dann gleich wieder Aufschlag, Vorhand, Rückhand. Die weiten Reisen haben immer nur ein Ziel: den Tennisplatz, und der sieht überall gleich aus. „Man muß sich mal überlegen“, sagt Karbacher (30), einst 22. der Weltrangliste und seit 1989 im Geschäft, „wie oft man wo war und nichts gesehen hat.“ Und dann bekommt man auch noch immer das gleiche zu hören: fifteen – love, fifteen – all, fifteen – thirty und so weiter.

Das war wohl auch der Grund für den Vater allen deutschen Ten- nis-Interesses, Boris Becker, seit dieser Saison nur noch ab und zu bei Turnieren mitzuspielen und sonst als umtriebiger Privatier unterwegs zu sein. Wobei der immerhin noch das Glück hat, daß ihn die meisten lieben und mit ihm zu tun haben wollen. Das kann Kafelnikow nämlich auch nicht von sich behaupten. Momentan hat er nicht einmal einen Ausrüster und arbeitet, obwohl elftbester Spieler der Welt, in neutralen Privatklamotten. „Mein Vertrag ist Anfang dieses Jahres ausgelaufen“, sprach der traurige Tennisspieler, „niemand will mich. So einfach ist das.“ Und verließ geknickt den Raum.