Schneller Altern im Ideenkorsett

Babys im Kreißsaal, Greise auf dem Sterbebett: Sie wollten alles anders machen, aber letzlich ist den Organisatoren der Ausstellung „Macht des Alters – Strategien der Meisterschaft“ im Berliner Kronprinzenpalais zum Thema auch nur das Übliche eingefallen  ■ Von Ulrich Clewing

Die Zahlen sind beeindruckend. Im Jahr 2030, das haben Demographen errechnet, wird jeder dritte Mensch in Deutschland über 60 Jahre alt sein. Da auch die allgemeine Lebenserwartung weiter steigt, stehen wir heute an der Schwelle epochaler Veränderungen: „Dieser Wandel wird die politische Landschaft nachhaltig prägen, den Arbeitsmarkt und den Freizeitsektor erfassen, neue Lebensstile hervorbringen und kulturelle Leitbilder und soziale Rollenzuweisungen umstürzen.“ Bazon Brock, großen Worten bekanntermaßen nicht abgeneigter Spiritus rector der Ausstellung „Die Macht des Alters“ im Berliner Kronprinzenpalais, ist daher überzeugt: „Man wird den Begriff des Alterns neu definieren müssen.“

Themenausstellungen sind in letzter Zeit ein bißchen aus der Mode gekommen. Was nicht zuletzt damit zusammenhängt, daß sich inzwischen herumgesprochen hat, daß man Künstlern nicht unbedingt einen Gefallen tut, wenn man ihre Werke zur Illustration eines mehr oder weniger geistreichen, in jedem Fall aber aufgestülpten Ideenkorsetts hernimmt. Doch das spielt hier ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Glaubt man Brock, war es bei „Die Macht des Alters“ nämlich genau andersrum, hat der überwiegende Teil der vertretenen 40 KünstlerInnen die ausgestellten Arbeiten eigens und nur für diese eine Gelegenheit produziert.

Wie dem auch sei, wer meint, das Älterwerden nach einem Besuch des Kronprinzenpalais völlig neu zu sehen, wird wohl ein wenig enttäuscht werden. Auch wenn jede Teilnehmerin nicht nur mit ihrem Namen, sondern auch mit ihrem Alter vorgestellt wird, ist die Verbindung zum Thema entweder gar nicht zu bemerken, oder es handelt es sich um relativ konventionelle Allegorien der Vergänglichkeit.

Von dem 31jährigen litauischen Künstler Egle Rakauskaite beispielsweise stammt die „Monitoruhr“, ein Gestell in Form einer Sanduhr, oben ein Bildschirm, unten ein Bildschirm, auf denen Filme laufen, die Babys im Kreißsaal beziehungsweise Greise auf dem Sterbebett zeigen. Geburt und Tod als die entscheidenden Stationen auf dem Lebensweg des Menschen, das ist dann schon arg platt und allgemein. Oder die Düsseldorferin Katharina Fritsch (Jahrgang 1956), die 1995 auf der Biennale in Venedig den deutschen Pavillon gestaltete. Sie präsentiert einen Totenkopf und in der Vitrine daneben ein aus rotgefärbten Zähnen zusammengesetztes Herz. Mehr als ein Achselzucken will einem dieses Arrangement nicht entlocken.

Skandalträchtiges hat dagegen der Heidelberger Gunther von Hagens in petto. Hagens ist von Haus aus Wissenschaftler und in der Funktion als Erfinder der sogenannten Plastination hervorgetreten. Mit diesem Verfahren wird es möglich, Leichen in einem bisher nicht gekannten Realismus zu konservieren. Damit nicht genug: Die Körper der Toten können in jede beliebige Stellung gebracht werden – was Hagens, der zur Eröffnung der Ausstellung mit Hut und Weste als lächerlicher Beuys-Klon auftrat, denn auch weidlich ausgenutzt hat. Es ist eigentlich wirklich zum Kotzen: Hagens hat die Leichen derjenigen, die ihm ihre sterblichen Überreste im Glauben an den wissenschaftlichen Fortschritt überließen, nach Vorbildern aus der Kunstgeschichte „umgeformt“. Da erkennt man in perverser Dreidimensionalität Salvatore Dalis Gemälde „Anthropomorpher Schrank mit Schubladen“ wieder, einem anderen Körper hat Hagens die Muskelstränge zerrupft wie bei Umberto Boccionis berühmter futuristischer Skulptur „Urformen der Bewegung im Raum“. Hagens Kunst beschränkt sich auf den Schockeffekt und hat offenbar vor allem ein Ziel: die eitle Selbstdarstellung ihres Urhebers. Ein Ärgernis, nicht weniger, aber auch nicht mehr, und ein deftiger Faux-pas der Ausstellungsmacher, zu denen neben Bazon Brock der Kunsthistoriker Jeannot Simmen als Kurator und als Hauptgeldgeber die Bonner Stiftung für Kunst und Kultur gehören.

Dieser Fehlgriff rückt auch jene Kunstwerke ins Zwielicht, die einen Besuch der Ausstellung an sich lohnenswert machen. Der „Engel“ des bereits verstorbenen Amerikaners James Lee Byars zum Beispiel ist ein hochpoetisches räumliches Bild aus lauter Glaskugeln. In der Gesellschaft wirkt es komplett fehl am Platz. Immerhin, es gibt sie, die gelungenen Arbeiten. Sophie Lovell, 34, hat eine Wand aus dem Treppenhaus eines Berliner Mietshauses im Maßstab 1:1 nachgebaut. Fasziniert schaut man auf das Krakelee der bröckelnden Farbe und all die übrigen Spuren der Abnutzung, an denen man sonst achtlos vorbeiläuft.

Der Berliner Olaf Metzel, mittlerweile in seiner zweiten Amtszeit als Akademiepräsident in München, hat das getan, was er immer macht, und ein schwindelerregendes Ensemble aus gigantischem Schreibtisch, Aktenordnern und Wahlkabinen inszeniert. Das Werk mit dem Titel „Basisarbeit“ sagt natürlich nichts aus über Metzels Tätigkeit an der Münchner Kunsthochschule, wie es einem Bazon Brock wortreich nahelegen will, aber ein Gebilde von hoher plastischer Qualität ist es allemal. Eine wunderschöne, lapidare und gleichzeitig sehr lyrische Fotoinstallation zeigt der 40jährige in Berlin ansässige Künstler Ingo Taubhorn. „VaterMutterIch“ besteht aus einer Vielzahl unterschiedlich großer Fotos von Taubhorns Eltern, die er mit liebevoller Ironie porträtierte, sowie aus Bildern von seinen Freunden, die als schwule Clique für Taubhorn inzwischen eine Art Familienersatz abgeben. Ohne Zweifel eine der besten Arbeiten in „Die Macht des Alters“. Immer wieder erfreulich ist auch die Begegnung mit den Bildern von Roman Opalka, 67. Opalka malt nichts anderes als Zahlen in Öl auf Leinwand, fortlaufend von 1 bis unendlich, und nennt die entstandenen Gemälde konsequent „Details“. Wenn er mit einem Bild fertig ist, macht Opalka ein Foto von sich, und das seit gut dreißig Jahren. Da läßt sich erahnen, was aus dieser Ausstellung hätte werden können.

Unter den Linden 3, täglich außer mittwochs 10 bis 18 Uhr, bis 1. 11.