Der fingerlose Zeki vor Gericht

PKKler wird in der Türkei der Prozeß gemacht  ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Selten hat ein Gefangener solche Furore gemacht. Parmaksiz Zeki – der fingerlose Zeki – mit bürgerlichem Namen Semdin Sakik, galt als zweiter Mann der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), als der eigentliche Organisator des Kampfes in den Bergen im Südosten der Türkei. Seit letzter Woche steht er in Diyarbakir, der größten Stadt in Türkisch-Kurdistan vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft fordert die Todesstrafe für Sakik, er selbst hofft, als Kronzeuge anerkannt zu werden und Strafmilderung zu bekommen.

Sakik überwarf sich mit PKK-Chef Öçalan

Dabei ist bis heute unklar, ob Sakik überhaupt ein Überläufer ist. Im März hatte er sich in die Obhut des nordirakischen Kurdenchefs Massud Barsani begeben. Vorausgegangen war ein schweres Zerwürfnis mit dem Führer der PKK, Abdullah Öçalan. Angeblich soll Sakik gefordert haben, den Kampf entweder auch auf den Westen der Türkei auszudehnen, oder aber sich auf politische Aktionen zu beschränken. Er selbst behauptet, er habe für ein Ende des bewaffneten Kampfes plädiert. Öçalan, der ernsthafte Kritik innerhalb der Organisation nie geduldet hat, beschuldigte Sakik der „Bandenbildung“ und enthob ihn des Kommandos. Daraufhin floh Sakik zu Barsani. In einer spektakulären Hubschrauberaktion türkischer Antiterroreinheiten wurde Sakik dann wenig später entführt und in die Türkei gebracht. Kurz darauf erschienen in verschiedenen großen türkischen Tageszeitungen angebliche Protokolle der Verhöre mit Sakik, nach denen er zugegeben haben soll, für den Tod Hunderter Soldaten verantwortlich zu sein, in denen er aber auch prominente Journalisten und Politiker als PKK-Sympathisanten denunzierte. Darüber hinaus wiederholte er auch noch einmal eine alte Geschichte, nach der angeblich die PKK den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme umgebracht haben soll.

Zum Auftakt des Prozesses erklärte Sakik jetzt, daß ihm viele dieser Beschuldigungen untergeschoben worden sein: „Als ich die Verhörprotokolle unterschrieb, war ich psychisch und physisch nicht mehr in der Lage, sie zu lesen.“ Der wichtigste Punkt, der auch gerade im Zusammenhang mit dem in der letzten Woche von Öçalan verkündeten einseitigen Waffenstillstand von Bedeutung ist, ist der Mord an 33 Rekruten im Jahr 1993. Zu diesem Zeitpunkt hatte die PKK das erste Mal einen Waffenstillstand verkündet und die türkische Regierung zu Gesprächen aufgefordert. Während des Waffenstillstandes wurde auf der Straße von Elazig nach Bingöl ein Bus gestoppt. 33 Rekruten, die unbewaffnet aus dem Urlaub kamen waren, wurden erschossen.

Die Empörung war enorm, von Verhandlungen konnte keine Rede mehr sein. Die PKK behauptete lange, das Massaker sei vom türkischen Geheimdienst inszeniert worden, um eine politische Lösung des Konflikts zu verhindern. Nach der Festnahme Sakiks erklärte Öçalan nun im aus London operierenden kurdischen Med-TV, der Mord an den Rekruten sei ohne Rücksprache mit ihm von Sakik befohlen worden. Sakik sagte dagegen aus, ein anderer PKK-Kommandant habe das Massaker auf Anweisung Öçalans durchgeführt, weil die türkische Armee auf den Waffenstillstand nicht reagiert habe.

Zweifel an Öçalans Friedensangebot

„Ich habe von der ganzen Sache erst eine Woche später im Radio gehört“, behauptete Sakik vor Gericht. Er glaube auch nicht, daß Öçalan dieses Mal den Waffenstillstand einhalten werde. Türkische Zeitungen berichten, Öçalan habe sich mit seinem Europavertreter, Kani Yilmaz, der ihn zu dem Waffenstillstand gedrängt habe, überworfen, weil die versprochenen positiven Reaktionen in Europa ausblieben. „Niemand interessiere sich für den Waffenstillstand“, soll Öçalan getobt haben, „außer meinen internen Kritikern“.

Der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz erklärte als Reaktion auf den von der PKK angekündigten Waffenstillstand, Öçalan solle einsehen, daß er mit Terror nichts erreiche, und sich stellen.