Danke (4)
: Unwägbarkeiten

■ Manche wechseln zwischen zwei Wahlen einfach die Partei, andere nur ihr Outfit

„Einmal, alle vier Jahre, da tun wa so, als ob wa wat täten, diß is ein scheenet Jefiehl!“ sagt ein älterer, aber leicht besoffener Herr, bevor er im Suff aus dem Fenster fällt, weil er auf diversen Wahlwerbeveranstaltungen zuviel durcheinandergetrunken hat. Das war 1930, und Tucholsky hat es aufgeschrieben. Bei der PDS gab es neulich tschechisches Bier. Weil ich kein Bier trinke, mußte ich mit Club-Cola vorliebnehmen, und davon fällt man nicht aus dem Fenster.

Sollte es mir trotzdem passieren, weil es vielleicht bei der SPD oder den Grünen italienischen Weißwein gibt, würde ich genau vor einem PDS-Plakat landen, vor dem mit Stinkefinger, Peace-Zeichen und rechter und linker Faust, was auch immer das heißen mag. Die meisten Wahlplakate können ja mit der Ästhetik sonstiger Werbeträger nicht mithalten. „Weltklasse für Kohl“ entbehrt natürlich nicht vollkommen der Ironie. Wenn man die Regierungsdauer als Maßstab nimmt, kommt er ja gleich hinter Todor Schiwkow, Walter Ulbricht und Leonid Breschnew.

Auf der riesigen Kohl-Plakatwand am Berliner S-Bahnhof Prenzlauer Allee werden mittlerweile Debatten geführt, die weit über Augenauskratzen hinausgehen. Statt einer Nase ziert ihn ein Plakat der Kunstkaostage 1998 und aufs Doppelkinn hat jemand eine Paketkarte mit der Aufschrift „Sein Einkommen stimmt, seine Rente auch“, gleich neben den Satz „Nicht noch mal“ geklebt.

Wolfgang Thierse wurde extra ein anständiges Äußeres verpaßt, schließlich geht es der SPD um die Stimmen der Mitte. Er hat jetzt die gleiche Frisur wie der falsche Herr Thierse, der eine Zeitlang im Spar-Laden an der Ecke verkehrte. Der eine oder andere grüßte immer ganz freundlich und wunderte sich nur, weil er immer mit zwei vergammelten Plastetüten herumrannte. Ich habe dann feststellen müssen, daß es der falsche war, weil der richtige zur gleichen Zeit verzauselt und im guten Anzug auf der anderen Straßenseite lief. Leider hat der Laden zumachen müssen – wegen der hohen Mieten – und mit ihm verschwand dann seltsamerweise auch der falsche Herr Thierse.

Es gibt ja beim Wählen einige Unwägbarkeiten. Man kann sich leider auch nicht sicher sein, ob die Abgeordneten, die man wählt, am Ende der Legislaturperiode noch auf der richtigen Bank sitzen. Ich wäre dafür, wie im Fußball wenigstens Ablösesummen einzuführen. Zwölf Millionen für Vera Lengsfeld wären doch ein schönes Sümmchen für die Grünen gewesen. Da Günter Nooke nur in der Regionalliga war, hätte sein BürgerBündnis freier Wähler wahrscheinlich höchstens 100.000 von der CDU gekriegt. Das aber nur deswegen, weil Nooke für seine maßgeschneiderten Bananenflanken bekannt ist. Annett Gröschner

Lebt als freie Autorin in Berlin