Fundamentalistin für Europa

■ Gestern feierte der Bund der Vertriebenen in Berlin seinen "Tag der Heimat". Seit in Erika Steinbach erstmals eine Nachgeborene den Verband leitet, sind die Töne schärfer denn je

Berlin (taz) – Frage eines polnischen Journalisten an Erika Steinbach zum Auftakt des „49. Tags der Heimat“: Warum sollten eigentlich Deutschen in Polen Niederlassungsrechte eingeräumt werden – wie Steinbach und ihr Verband es seit Jahren fordern –, die Polen in Deutschland erhielten doch auch keine entsprechenden Rechte? Da ist selbst Erika Steinbach um eine Antwort verlegen. Selten genug kommt das vor, denn starke Worte sind ihr tägliches Geschäft.

Auch gestern prangerte die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) einmal mehr Polen und Tschechien als „Hauptvertreiberländer“ an und drohte, nur wenn beide Staaten den Vertriebenen ein „Recht auf Rückkehr, Entschädigung und Heimat“ einräumten, dürften sie für einen EU-Beitritt berücksichtigt werden. Noch ehe der „Tag der Heimat“ offiziell eröffnet war, hatte Steinbach die politische Botschaft des Vertriebenentreffens vorgegeben: Konfrontation, nicht Kooperation.

Allein ihre Wahl vor vier Monaten war ein politisches Fanal. Sie ist die erste Frau an der Spitze des konservativen Verbandes. Aber nicht ihr Geschlecht, sondern die relative Jugend der 54jährigen symbolisiert den Anspruch des Vertriebenenverbandes. Denn in Erika Steinbach führt erstmals ein Mensch die Organisation, der keine bewußte Einnerung mehr an die alte Heimat hat. Ein Baby, gerade mal ein Jahr alt, war Erika Steinbach, als sie vom westpreußischen Örtchen Rahmel nach Westdeutschland gebracht wurde.

Auch wenn Erika Steinbach sagt, sie habe „das ganze Elend der Vertreibung verinnerlicht“, gehört sie doch unbestritten nicht mehr zur „Erlebnisgeneration“. Sie ging im hessischen Hanau zur Schule, machte ein normales BRD-Abitur und eine stinknormale CDU-Karriere: Oberamtsrätin, Stadträtin in Frankfurt, Bundestagsabgeordnete. Trotzdem besteht die Hessin darauf, eine Vertriebene zu sein. Die Liebe zu und vor allem die Rechte auf die Heimat würden durch die Generationen weitergegeben, so ihr Credo. Erika Steinbach steht für eine neue Generation im BdV. Für Menschen, die Masurens schwarze Wälder und kristallnen Seen nur aus dem Ostpreußenlied kennen: die sogenannten Bluts- und Bekenntnisvertriebenen.

Vielleicht keimen ganz tief in ihrem Unterbewußtsein Selbstzweifel ob dieses Heimatanspruchs auf Umwegen. Vielleicht genießt sie es gerade deshalb, wenn Journalisten schreiben, sie sei härter und kompromißloser als ihre männlichen Vorgänger. Dabei war die Politik des BdV von jeher kompromißlos. Dem Grenzvertrag mit Polen verweigerte er seine Zustimmung. Versuche der Aussöhnung mit Tschechien torpedieren sie systematisch. In Wahljahr formulieren die Vertriebenen ihre Forderungen besonders kategorisch. Zwei Millionen Mitglieder hat der BdV, sagt Präsidentin Steinbach und „gegen die Vertriebenen kann die Union keine Wahl gewinnen.“

Seit einigen Jahren setzen die Vertriebenen auf die europäische Karte. „Im Rahmen der europäischen Osterweiterung“, sagte Erika Steinbach beim gestrigen „Tag der Heimat“, „leben gerade wir selbst als Heimatvertriebene und Flüchtlinge in einer besonderen Situation“. Polen und Tschechien sollten „das begangene Unrecht faktisch sühnen“, also zahlen. Ansonsten kämen sie für die Aufnahme in die EU nicht in Frage. Schließlich sei die Vertreibung ein Verstoß gegen die Menschenrechte gewesen und die EU sei eine Wertegemeinschaft, „die keine Menschenrechtsdefizite verträgt“.

Die Rechte von Menschen, deren Heimat nicht in den Grenzen des deutschen Reiches lag, sind Erika Steinbach nicht ganz so wichtig. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Frankfurt meinte sie jüngst, das Grundrecht auf Asyl hätte aus dem Grundgesetz getilgt werden müssen. Robin Alexander/Uwe Rada