Lidokino
: Ewiger Couchpotato

■ Reichlich Videodokuseifenopernalltag: Peter Weir und Claude Lelouch in Venedig

Die Frage ist häretisch, zugegeben: Ob man unbedingt am Lido wohnen muß? Wo man allerdings unter gar keinen Umständen leben kann, spätestens nach Peter Weirs „The Truman Show“, ist Seaside, Florida. Oder man ist 180 Jahre alt. Dann bringt einen wahrscheinlich auch die komplett neoviktorianisch möblierte Architekturphantasie des Developer-Ehepaares Davis nicht mehr um. Die liegt so adrett und frisch gefönt (Wella-Haarstudio?!) da, wie man es selbst als 180jährige der eigenen Kindheit nicht andichten mag. Aber senil kann man bekanntlich schon in jungen Jahren sein. Deshalb fand Weir den Set für seine Doku- Seifenoper-Satire, die im Zeitalter der Parabolantenne begann und nun im 30. Jahr laufen soll, tatsächlich in real-life.

Seahaven heißt der Ort, in dem Truman Burbank (Jim Carrey) lebt und plötzlich das Gefühl hat, ständig beobachtet zu werden. Was nur den weltumspannenden Tatsachen entspricht. Andrew Niccol gelang mit dem Drehbuch zu „The Truman Show“, was ihm bei seinem eigenen Film „Gattaca“ etwas danebenging: einen plausiblen Alptraum der näheren Zukunft zu erzählen, eingebettet in eine Gesellschaft, die – wie Seaside, Florida zeigt – schon da ist. Die Einwohner von Seaside träumen seit ihrem Einzug bestimmt von so etwas wie der „Truman Show“, live, rund um die Uhr, weil ein eigenes Leben zu leben ja nicht genug Komfort und Potato Chips verspricht.

Der Film ist komisch. Jim Carrey auf seiner Flucht aus Seahaven schlicht grandios. Darüber hinaus kriegt der Film das wunderbarste Pathos hin. Das große Gefühl für die große Idee, was es wert sein könnte, für die Freiheit zu sterben – um die Idee buchstäblich an die Wand zu fahren. Nun ja, an die Wand zu segeln. Ob Truman am Ende doch noch entkommt, läßt sich nur anhand des Filmmaterials mutmaßen. Denn Film und Video wechseln sich ab, da alles, was uns der Film über Truman erzählt, auch im Fernsehen gezeigt wird. Und damit sind wir bei einem bemerkenswert häufigen Venedig-Thema, dem Einsatz von Video im Film, bei Claude Lelouch, bei Francesca Archibugi, bei Tykwer oder Weir. Video ersetzt die Fotokamera, steht für das private Leben und einen intimeren Zuschauerkreis als den des Kinos. Und für Öffentlichkeit und einen Zuschauerkreis, den das Kino nie mehr erreichen wird. Video steht für das sogenannte Authentische wie das absolut Manipulierte, vor allem aber für die Bilder, auf die man überall trifft, denen man nirgends entkommt.

Und der Film? Vielleicht für den Willen zur Erzählung. Wie bei Rohmers „Conte d'automne“, das sich anfangs zwar etwas schwertut und die Protagonistinnen lange philosophierend durch die Weinberge stapfen läßt. Dann kriegt die Herbsterzählung aber doch noch die Kurve und entwickelt sich zu einer völlig unangestrengten, lebensnahen Komödie über die verschiedenen Versuche, eine Mittvierzigerin unter die Haube zu kriegen. Bislang einer der erfreulichsten Filme, neben „Truman“ und eben „Lola rennt“ (finde ich – trotz der roten Telefone, die bei der Disco-Party von Holzbalken hingen).

Das Wichtigste – wie üblich – zum Schluß: Das Buch zum Film ist out. In ist das Museum zum Film. Steven Spielberg hat einige Millionen Dollar gestiftet für ein D-Day-Museum in der Normandie. Und damit steht auch schon der Tag seiner Eröffnung fest: Es ist der 6. Juni 2000. Es muß der 6. Juni sein, denn da startete zwei Jahre zuvor „Saving Private Ryan“. Nein, sorry, alles zurück auf die Plätze, es war die Landung der Alliierten vor 56 Jahren. Brigitte Werneburg