"Alle steigen mit Abubakar ins Bett"

■ Nigerias bekanntester Schriftsteller, Wole Soyinka, wundert sich über die weltweiten "Lobgesänge" auf den neuen Militärherrscher Abubakar und erläutert, warum er noch nicht nach Nigeria zurückkehrt

taz: Als Nigerias gewählter und jahrelang inhaftierter Präsident Moshood Abiola Anfang Juli plötzlich starb, hielt die Opposition gerade in London ein Treffen ab, und Sie sagten dazu: „Die verschwenden ihre Zeit.“ Inzwischen hat Nigerias neuer Herrscher, General Abubakar, Demokratie versprochen, und die Opposition hält wieder Treffen ab, in London und auch in Nigeria. Bleiben Sie bei Ihrer Aussage über den Nutzen solcher Treffen oder haben Sie inzwischen Ihre Meinung geändert?

Wole Soyinka: Nein, nein, nein. Für mich ist die Situation derart eindeutig, daß ich mich schon wundere, daß irgendeine Gruppe tagelang dasitzen und reden kann. Unsere Optionen sind gegenwärtig sehr beschränkt.

Wie real ist denn jetzt noch die Opposition gegen das Militär?

Teile der Opposition sind definitiv diskreditiert. Wir werden in den kommenden Wochen eine Menge Überläufer erleben, eine Menge opportunistischer Rechtfertigungen selbst des Unakzeptablen in Abubakars erklärtem Programm. Aber der Kern der Opposition – diejenigen, die überzeugt sind, daß nichts anderes als die Zukunft der gesamten nigerianischen Gemeinschaft auf dem Spiel steht, werden hartnäckig zu ihren Grundprinzipien stehen.

Also kein Vorschußkredit für den neuen Jungen in Uniform oder ganz allgemein für die Jungs in Khaki? Obwohl der neue Mann ja im Gegensatz zu seinem Vorgänger durchsichtige Brillengläser trägt?

Nun, für was steht denn Abubakar? Viele Beobachter machen den Fehler, sich nur die Persönlichkeit des neuen Diktators anzusehen. Die Psychologie eines Diktators ist natürlich ein sehr wichtiges Element. Die Tatsache aber bleibt, daß Abubakar eine ganz genau bestimmte Gruppe repräsentiert. Egal was er als menschliches Wesen auch darstellen mag – die Gruppe, für die er steht, ist jenseits seiner absoluten Kontrolle. Er kann nur mit der Agenda dieser hegemonistisch eingestellten Gruppe herumdoktern, und das sollten die Politiker einsehen.

Noch ein weiteres Handicap, mit dem die Opposition fertig werden muß, ist der Umstand, daß die verschiedenen Zweige der internationalen Gemeinschaft sich einander überbieten in ihrem Versuch, Abubakar zu umarmen. Ich weiß wirklich nicht, welchen Liebestrank er denen in ihren Drink gemixt hat, aber das indezente Gebuhle zwischen denen und dem Abubakar-Regime ist geradezu obszön. Da werden Sanktionen aufgehoben, Lobgesänge auf jemand, der noch nicht einmal angefangen hat eine Leistung zu bringen, verschmutzen links und rechts die Luft. Die Schuld dieses Regimes am Tode Moshood Abiolas scheint überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Das natürliche Mißtrauen gegenüber jemand, der an die Macht gelangt und sagt: Oh, ich werde gewisse politische Maßnahmen meines Vorgängers fortführen, einschließlich der Annahme seiner Verfassung, ist weg. Diese Leute sind offensichtlich nicht bereit, diesem Regime eine Pause zu gewähren. Denn die Nichtzurücknahme gewisser Erlasse kann ja stets noch dazu benutzt werden, all jene Vögel, die aus ihren Käfigen befreit wurden, wieder in die Käfige zu stecken und den Käfig dann wieder abzuschließen. Die Nichtwiderrufung von Abachas Erlassen ist Tatsache, doch niemand scheint sich darüber aufzuregen. Statt dessen aber beeilen sich alle, mit diesem Mann ins Bett zu steigen.

Wir werden herausfinden – und das ist Teil der ernsten Diskussion, die unter uns bereits begonnen hat –, daß ein Teil derjenigen Unterstützung, die wir im Ausland gefunden hatten, jetzt allmählich abnehmen wird, und zwar unter dem Vorwand: „Ach Leute, wartet doch ab und seht, was dieser Mann jetzt anfangen wird, er hat doch den richtigen Anfang gemacht.“ Die fressen ihre eigenen Worte derart rasch auf, daß einem der Atem weggenommen wird.

Eine Gruppe politischer Aktivisten hat in sehr deutlichen Worten eine neue politische Aufteilung Nigerias in ein Gebilde von sechs Regionen verlangt, wobei diese sechs Regionen ein sehr hohes Maß an Autonomie besitzen sollen. Was halten Sie davon?

Ich stimme damit voll und ganz überein. Dabei ist es unerheblich, wieviele Regionen es sein werden. Darüber kann man ja diskutieren. Tatsache ist, daß der wahre Kern unserer gegenwärtigen Heimsuchung die völlige Ausradierung der föderalen Struktur ist, die Beseitigung der früher existierenden autonomen Beziehung der Bundesstaaten zum Zentrum, das Fehlen einer garantierten Verteilung der finanziellen Ressourcen. Das Machtmonopol des Zentrums ist eine Abartigkeit, die zur Verarmung der Regionen geführt hat, zu einer Kultur der Abhängigkeit, der Unterwürfigkeit und des Stiefelleckens. Die Gouverneure der Regionen begeben sich mit der Bettelkappe zum Zentrum und betteln: Könnten wir bitte wenigstens ein wenig von dem haben, wozu wir eigentlich berechtigt sind? Diese Entwicklung hat die Macht in höchst unnatürlicher Weise in den Händen einer winzigen Minderheit konzentriert. Dies muß anders werden.

Vor allem nach dem Tod von Abiola hat sich im Südwesten des Landes eine Menge Wut aufgebaut, und dies hat zur Forderung nach einer offenen Abspaltung von Nigeria geführt. Einige Leute in Nigeria haben gesagt, daß Sie die Statur hätten, um einen geeinten südwestlichen Standpunkt zur formulieren.

Also zunächst einmal möchte ich mich gegen diesen Ausdruck „Südwesten“ aussprechen. Das ist ein sehr interessanter Ausdruck, der von dem Medien sowohl im Innern wie außerhalb Nigerias unkritisch angenommen worden ist. Aber der Ausdruck bedeutet eigentlich eine Umbenennung der Region, die früher der „Westen“ war, in „Südwesten“, und das geschah ungefähr um die Zeit, als General Babangida die Wahl Abiolas annullierte und der Welt glauben zu machen versuchte, daß die Unterstützung Abiolas eine kleine regionale Affäre sei, und deshalb wurde der Westen zum Südwesten reduziert. Sie hören aber nie was vom Nordwesten oder Nordosten, Zentralnorden oder Südosten.

Jetzt zur eigentlichen Frage. Eines der Probleme, dem wir uns offen stellen müssen, ist die Tatsache, daß der Norden stets darauf bestanden hat, der Norden zu sein. Damit meine ich, daß eine kleine machtbesessene, unpatriotische, eigensüchtige und feudal orientierte hegemonistische Clique behauptet, den Standpunkt des Nordens zu vertreten. Es ist die Gemeinsamkeit der Interessen zwischen der Masse des Volkes des Nordens und denen der Massen im Süden, die dieser kleinen machtbesessenen Clique Angst macht, und diese Elite ist es, die den Feind der Nation ausmacht. Wenn dieser „Norden“ darauf besteht, dies fortzusetzen und sämtliche Probleme des Landes in Nord-Süd-Kategorien darzustellen, dann wäre der Süden geradezu verrückt, wenn er nicht einsehen wollte, daß er keine andere Wahl hat, als eine machtvolle südliche Allianz zu bilden, die dann diesen unpatriotischen Anspruch einer unpatriotischen Minderheit herausfordert. Aber dies ist keine Ein-Mann-Angelegenheit.

Wessen Angelegenheit ist es denn? Das Militär fällt aus, die Mittelschicht in Nigeria ist durch und durch korrupt. Sind Intellektuelle nicht die einzigen, die eine erneuernde Rolle spielen können?

Wenn man feststellt, daß die Mittelschicht in Nigeria korrupt sei, dann wäre es eigentlich wichtiger zu betonen, daß diese Mittelschicht in Nigeria zerstört worden ist. Die Mittelschicht ist ja normalerweise eine produktive Klasse. Häufig ist sie ja der Motor der Gesellschaft. In Nigeria aber wurde die Mittelschicht abhängig gemacht. Sie wurde abhängig gemacht vom Regierungsgeschäft. Und was ist das Regierungsgeschäft in Nigeria? Öl. Als produktive Klasse ist die Mittelschicht in den letzten anderthalb Jahrzehnten höchst effektiv entmannt worden. Sie muß erst mal wieder völlig neu aufgebaut werden.

Bis das soweit ist, gibt es also einen Job für Sie. In jüngster Zeit werden Sie in der Reihe der „Präsidentiablen“ geführt. Können Sie sich vorstellen, eine solche Rolle zu spielen? Sie haben ja schließlich mal eine politische Partei unterstützt, die versucht hat, den Graben zwischen Norden und Süden zu überbrücken.

Nun, ich werde immer wieder solche Dinge tun. Das liegt in meiner Natur. Ich habe damals eine sehr progressive Partei unterstützt, bin sogar deren Mitglied geworden, nachdem die sich in zwei Teile gespalten hatte und der kollaborative Teil sich abgetrennt hatte. Aber diejenigen, die heute – und es haben mich ja eine Menge Leute angerufen – von einer präsidialen Rolle für mich reden, diese Leute wünschen mir wirklich nichts Gutes, ganz und gar nichts Gutes.

Können Sie sich aber eine Rückkehr nach Nigeria in der näheren Zukunft vorstellen, entweder aus freien Stücken oder als Reaktion auf wachsende Forderungen von zu Hause? Oder ziehen Sie es vor, wie Sie es in Ihrem Buch „Ibadan“ geschrieben haben, „noch ein wenige Exilzeit zu horten“?

Lassen Sie es mich so formulieren. Als ich Nigeria verließ, habe ich das nicht aus freien Stücken getan. Ich habe mich dem bis zum letzten Moment widersetzt. Es war dann eine kollektive Entscheidung derjenigen Gruppe, zu der ich gehörte, der Anti-Abacha-Gruppe, die mit meinen früheren Prognosen zu Abachas Vorhaben übereinstimmte. Die hielten mir beständig vor: Du hast geschrieben, du hast uns vor dem gewarnt, und jetzt passiert es genau so. Meinst du nicht, es sei jetzt an der Zeit, draußen zu sein und internationale Unterstützung für die Bewegung zu organisieren? So bin ich also seither draußen gewesen. Ich habe diesen Auftrag gemäß meinen Möglichkeiten ausgeführt, so gut ich konnte. Und ich bin immer wieder zutiefst befriedigt, wenn ich auf Flugplätzen und anderswo Menschen treffe, deren Wertschätzung meiner Arbeit mich völlig überwältigt. Und das hat mir die Kraft gegeben weiterzumachen. Und deshalb werden es genau die Leute sein, die mich nach draußen geschickt haben, die auch diese Entscheidung treffen werden. Wenn die jetzt sagen: „Komm morgen nach Hause“, dann werde ich lediglich sagen: „Ich muß da erst noch ein paar Sachen erledigen, ein paar Schulden begleichen. Könnt Ihr mir so und soviel Zeit geben?“ Aber soweit ist es bis jetzt noch nicht gekommen. Wenn sie mir aber sagen, ich solle meine Koffer packen, dann werde ich anfangen, meine Koffer zu packen. Interview: Gerd Meuer