■ Berliner Verfassungsschützer beschäftigen Ex-Stasi-Mitarbeiter
: Kompetenz und Moral

Im Berliner Landesamt für Verfassungsschutz herrscht Waidmannsglück. Drei kapitale Böcke haben die Geheimdienstler in kürzester Zeit geschossen. Und dies ganz entgegen ihren Gepflogenheiten im Lichte der Öffentlichkeit. Da war zunächst der Fall des Polizeidirektors Otto D. Dieser war im März durch anonyme Schreiben an Polizeiführung und Innensenat der Mitgliedschaft in der Scientology-Sekte bezichtigt worden. Gestützt auf dubiose V-Leute hatten Verfassungsschützer dies vorschnell bestätigt. Im zweiten Fall war der Berliner Landesverband der „Republikaner“ gegen seine geheimdienstliche Ausspähung vor Gericht gezogen. Den Nachweis, daß es sich bei den Reps um eine rechtsextremistische Partei handele, konnten die Verfassungsschützer nach richterlicher Auffassung nicht führen – sie kannten nicht einmal das aktuelle Parteiprogramm. Nun stellt sich heraus, daß der entscheidende V-Mann im Fall Otto D. vor der deutsch-deutschen Einheit beim Konkurrenzunternehmen Stasi beschäftigt war und nach deren Auflösung den Arbeitgeber gewechselt hat.

Berlin ist über einen solchen Wechsel der Arbeitgeber empört. Warum eigentlich? Ist es nicht die Aufgabe eines jeden Geheimdienstes, „freie Mitarbeiter“ da zu suchen, wo man sie im Sinne einer effektiven Aufgabenbewältigung findet? Gleichgültig, mit welcher Vergangenheit sie belastet sind? Das ist im Bereich der Spionage, beim Ausspähen der rechts- und linksextremistischen Szene oder wie in Bayern bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gang und gäbe. Anders geht es nicht. Unbescholtene Chorknaben bringen aus solchen Kreisen keine Informationen.

Die Frage, darf man Ex-Stasi-Mitarbeiter einsetzen oder nicht, kann also bestenfalls eine moralische sein. Und da in Berlin West und Ost immer noch aufeinanderprallen wie nirgends sonst, stellt sie sich hier besonders. Deshalb sind hier auch alle empört ob der offenbaren Doppelmoral. Die aber zeigt nicht nur der Geheimdienst, sondern die Gesellschaft insgesamt. Wer sich den Luxus leistet, zwischen „guten“, nämlich den eigenen Diensten, und „bösen“, also den „gegnerischen“, zu unterscheiden, darf sich nicht wundern, wenn die Guten auch mit vormals Verteufelten kooperieren, um „ihren Job zu machen“. Da der Verfassungsschutz sein „Gutsein“ indes stets wie eine Monstranz vor sich herträgt, darf er sich andererseits nun über die Erregung nicht wundern. Er gehört zu Recht geohrfeigt. Die entscheidende Frage lautet also: Was lernen wir daraus? Vermutlich nichts. Otto Diedrichs