„Ich habe mich schon sehr geärgert“

■ Gert Wagner von der Bonner Enquetekommission über die Ohnmacht der Sachverständigen

Der Bericht der Enquetekommission „Demographischer Wandel“, in dem Empfehlungen zur Ausländerpolitik abgegeben werden, erregt Unmut in Bonn. Der Streit entzündete sich aber nicht an den vorläufigen Ergebnissen der Kommission, sondern an der Anweisung der Regierungskoalition, den Abschlußbericht erst nach der Bundestagswahl vorzulegen. Die paritätisch mit Politikern und Wissenschaftlern besetzte Kommission kritisiert unter anderem, daß die politisch-rechtliche Integration für die meisten Zuwanderer noch aussteht.

taz: Sie haben festgestellt, daß Zuwanderung die Arbeitslosigkeit nicht erhöht, weil ausländische Arbeitnehmer zumeist Stellen besetzen, die andere nicht antreten wollen. Gerade jetzt, im Wahlkampf, werden die Ergebnisse Ihrer Arbeitsgruppe zurückgehalten. Wie schätzen Sie diese Politik ein?

Gert Wagner: Das ist derzeit sicherlich ein Stück politisches Kalkül, wenn es auch unlogisch ist, denn die Ergebnisse sind ja auch in anderen Publikationen nachlesbar. Als Sachverständiger einer Enquetekommission muß man aber wissen, daß die Kommission paritätisch besetzt ist und auf Parteiinteressen Rücksicht genommen wird. Aber ich habe mich schon sehr darüber geärgert, daß jetzt kein Endbericht zustande kam.

Kam das für Sie überraschend?

Nicht wirklich, denn das Thema Ausländerpolitik ist natürlich brisant. Es wäre naiv zu glauben, daß sich der Konsens der Sachverständigen in der Kommission auf die Politik übertragen läßt, jetzt, zur Zeit des Wahlkampfs.

An welchen Ergebnissen hat sich die Regierungskoalition konkret gestoßen?

Man kann vermuten, daß die Empfehlung der Arbeitsgruppe, die Zuwanderer zum Beispiel über Sprachkurse und Arbeitserlaubnisse so schnell wie möglich zu integrieren, nicht auf Gegenliebe in der Union gestoßen sind.

Das besonders Pikante ist, daß auf der letzten Sitzung der Kommission am 1. September alle Berichtsteile und auch einige wenige Empfehlungen bis auf redaktionelle Kleinigkeiten verabschiedet wurden. Nur die Empfehlung für die Zuwanderung und Integration ist noch nicht verabschiedet.

Die Ergebnisse Ihrer wissenschaftlichen Arbeit werden also aus politischen Gründen zurückgehalten.

Bei mir war aber auch ein bißchen Naivität dabei, zu glauben, wir würden in so einer Kommission Probleme lösen, die politisch noch nicht ausdiskutiert sind. Der Bundestag sollte deswegen überdenken, ob Enquetekommissionen in der althergebrachten Form überhaupt sinnvoll sind.

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe werden dem neuen Bundestag vorgelegt, allerdings gehörig abgespeckt: die Empfehlungen zur Ausländerpolitik tauchen wahrscheinlich nicht mehr auf. Können die Politiker Ihre Ergebnisse denn ignorieren?

Nein. Unsere Ergebnisse werden nicht nur für die Debatten im neugewählten Bundestag eine Rolle spielen, sondern auch in der öffentlichen Diskussion. Interview: Kerstin Willers