Analyse
: Pipelineträume

■ Der Streit zwischen Taliban und Iran ist nicht nur ein Religionskonflikt

Die Islamische Republik Iran und das Islamische Emirat Afghanistan blasen zum Krieg – gegeneinander. Zwar ist das iranische Großmanöver an der Grenze zu Afghanistan offiziell beendet, aber die 70.000 Soldaten bleiben weiterhin vor den Toren des Nachbarstaates stationiert. Der Aufmarsch stützt die Behauptung der afghanischen Taliban, das Manöver sei Vorbereitung zum Einmarsch.

Im staatlichen Rundfunk Irans hieß es am Sonntag, man werde „notwendige Maßnahmen ergreifen“, um die mindestens 45 von den Taliban festgehaltenen Iraner zu befreien. Glaubt man der Washington Post, dann hat die iranische Führung die Taliban bereits auf eine „militärische Lösung“ vorbereitet. Ein hochrangiger Vertreter Irans sei in der Angelegenheit in Pakistan vorstellig geworden, berichtet das Blatt. Pakistan ist der wichtigste Unterstützer der Taliban.

Die iranischen Staatsbürger – darunter angeblich elf Diplomaten – fielen den Taliban am 8. August bei der Eroberung von Masar-e Scharif in die Hände, der letzten Hochburg der von Iran und Rußland unterstützten Anti-Taliban-Allianz. Laut amnesty international massakrierten die Taliban danach Tausende Angehörige der Minderheit der Hasara. Die Hasara sind Schiiten. Den sunnitischen Taliban gelten sie als Verbündete des von Schiiten beherrschten Iran.

Doch es ist zu kurz gedacht, den Zwist zwischen Iran und Taliban als reinen Religionskonflikt zu interpretieren. Beide Seiten haben handfeste Interessen, und zudem haben noch andere Mächte die Finger im Spiel. Zwar spielen die Taliban erfolgreich die Ultraislamisten, doch anders als die iranische Führung verzichten die Koranschüler auf das sonst bei Islamisten übliche antiamerikanische Vokabular – selbst Israel bleibt von rhetorischen Attacken verschont.

Anerkannt wurden die Taliban als Regenten Afghanistans bisher von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Pakistan – alles Verbündete der USA. Zumindest in ihrer Gründungsphase wurden die „Koranschüler“ von der CIA unterstützt. In Washington hoffte man, die Islamisten könnten in Afghanistan für Stabilität sorgen. Dies ist Voraussetzung für den Bau einer Pipeline von den an Erdöl und Erdgas reichen zentralasiatischen Republiken der früheren Sowjetunion, eines der Hauptaktionsgebiete US-amerikanischer Ölfirmen. Die Alternativroute führt durch den Iran. Die halten US-Ölfirmen inzwischen für die realistischere, doch die US-Regierung will sie weiterhin verhindern. In Teheran hat man deshalb Interesse, daß die Verhältnisse im Nachbarstaat nicht zu stabil werden. Und in Washington begutachtet man dieser Tage Satellitenbilder von der iranisch-afghanischen Grenze mit ganz besonderer Sorge. Thomas Dreger