Kein Premier auf Probe

■ Duma lehnt Jelzins Kompromißvorschlag ab

Moskau (taz) – Die russische Duma hat gestern erneut Wiktor Tschernomyrdin als Ministerpräsidenten abgelehnt. Für den Kandidaten von Präsident Boris Jelzin stimmten 138 Abgeordnete, gegen ihn 273. Im Vergleich zur ersten Abstimmung vor einer Woche konnte Tschernomyrdin das Ergebns jedoch verbessern; damals hatten sich nur 94 Parlamentarier für ihn ausgesprochen. Die Fraktion von Rechtsaußen Wladimir Schirinowski hatte angekündigt, für den Wahlpremier Jelzins zu stimmen.

Mit der zweiten Abstimmung ist auch ein Kompromißvorschlag des Präsidenten gescheitert. Nach zwei intensiven Verhandlungsrunden mit Vertretern der Duma-Fraktionen gestern im Kreml war er bereit gewesen, den Ministerpräsidenten nach Ablauf einer „Probezeit“ von einem halben Jahr oder acht Monaten einer Leistungsprüfung zu unterziehen. Abgelehnt hatte er dagegen die von einer breiten Opposition aus Kommunisten und reformorientierten Abgeordneten vorgeschlagenen Gegenkandidaten für das Amt des Premiers. So hatte Kommunistenführer Gennadi Sjuganow neben dem populären Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow auch den Vorsitzenden des Oberhauses des Parlaments, Jegor Strojew, als potentiellen Kandidaten genannt. Der Chef der reformorientierten Fraktion Jabloko, Grigori Jawlinski, schlug Außenminister Jewgeni Primakow vor. Dieser habe Chancen, von allen Parteien mitgetragen zu werden.

Um das Parlament zum Einlenken zu bewegen, hatte Jelzin zudem eine Vereinbarung unterzeichnet, die der gesetzgebenden Versammlung einräumt, bei der Ernennung und Entlassung von Ministern konsultiert zu werden. Schon seit langem versuchen die Abgeordenten die Rolle des Parlaments grundsätzlich zu stärken und die Bedeutung des Präsidentenamts auf eine repräsentative Funktion zurückzustufen.

Unterdessen reichte gestern Zentralbankchef Dubinin seinen Rücktritt ein. Die Kritik an dem 47jährigen war in den letzten Tagen wegen der Handhabung der Krise durch die Notenbank immer lauter geworden. Jelzin nannte das Gesuch längst „überfällig“. Als mögliche Nachfolger wurden der konservative, bereits für scheintot gehaltene ehemalige Zentralbankchef Wiktor Geraschtschenko und der Chef der Tschernomyrdin-Fraktion, Alexander Schochin, gehandelt. Die politischen Turbulenzen trieben den Rubel erneut auf Abwärtskurs. 30 Rubel boten Händler für einen Dollar, der vor drei Wochen noch 6 Rubel kostete.

Klaus-Helge Donath Berichte Seite 2