Demonstrative Konstruktionen

Ausgezeichnet: Die Hamburger Autorin Brigitte Kronauer. Ein Portrait und Interview  ■ Von Frauke Hamann

Wenn Brigitte Kronauer heute den mit 15.000 Mark dotierten Hubert-Fichte-Preis der Stadt Hamburg entgegennimmt, steht sie in beachtlicher Tradition: Die alle drei Jahre verliehene Auszeichnung ging zuvor an Ginka Steinwachs, Helmut Heißenbüttel und Peter Rühmkorf. Für die 1940 in Essen geborene, seit 1974 in Hamburg lebende Autorin, der gerade neben Hans Boesch und Friedhelm Kemp auch der erstmals verliehene Breitbach-Preis in Höhe von 250.000 Mark zugesprochen wurde, kommen die Auszeichnungen spät, aber sehr verdient. Die studierte Sozialpädagogin, die Mitte der siebziger Jahre begann, literaturkritische Essays zu veröffentlichen, wurde einer größeren literarischen Öffentlichkeit 1980 durch den Roman Frau Mühlenbeck im Gehäus bekannt.

Margarete Mühlenbeck ist eine Frau, die ihr Leben auf die Reihe gekriegt hat, indem sie es mit immergleichen Verrichtungen und Redewendungen stillstellt. Eine junge Lehrerin, die eine „steinerne Verlassenheit“ empfindet, lernt von ihren Ordnungs- und Sprachschemata – doch der Preis für den Gewinn der Eindeutigkeit ist hoch. Kronauer führt vor, wie Menschen ihrem Leben Form zu geben versuchen und dabei selber verformt werden. Der Roman ist in seiner „demonstrativen Konstruktion“ (Kronauer) und formalen Strenge der Wirklichkeit beängstigend gemäß.

Brigitte Kronauer pocht auf die erhellende Exklusivität der Poesie: „Es gehört zu den Widersprüchen der Literatur, daß sie künstlich ist und gerade deshalb zu Leben erwecken kann, was vorher nicht da war.“ In ihren poetologischen Reflexionen gibt sie ihre Lesart der preis: Der Schriftsteller darf „der Literatur beim Schreiben noch weniger verfallen, als man es beim Lesen tun sollte“, heißt es in ihrem jüngst erschienenen Aufsatz „Ist Literatur unvermeidlich?“ – eine durch und durch rhetorische Frage.

Brigitte Kronauer ist eine Meisterin des Kalküls, zugleich aber auch eine beobachtungsgenaue Sprachvirtuosin. Sie setzt auf Wahrhaftigkeit statt auf Identifikation. Ihr primäres Interesse nennt sie das Herstellen von Zusammenhängen und versteht darunter das Bedürfnis, „das Durcheinander der Wirklichkeit in ein Nacheinander notfalls zu zwingen“. Was die Lust an Satzmelodien und Wortpräzision nicht ausschließe.

Mit der Verwendung klar konzipierter Erzählmuster führt sie dem Leser das Zurechtmachen der Wirklichkeit vor. Konsequenterweise entwirft die Schriftstellerin ihre Romane wie Bauwerke: Rita Münster (1983), so der Titel des ersten Bandes ihrer Romantrilogie, bezeichnet sie als Pyramide, Berittener Bogenschütze (1986) als Spirale und Teil drei, Die Frau in den Kissen (1990), sieht Kronauer als Treppe. Rita Münster endet himmelwärts: „Ich sehe hoch, bis ich nichts mehr sehe.“

taz hamburg: Anläßlich Ihrer Auszeichnung sei an Ihren Fichte-Essay aus den 70er Jahren erinnert. Dort heißt es: „nicht Spiegelung der Wirklichkeit, Gegenmaßnahme“. Beschreiben Sie damit eine Nähe zu Fichte?

Brigitte Kronauer: Bei Fichte ist mir damals als unglaubliche Konfrontation erschienen, wie er auf der einen Seite den harten St. Pauli-Stoff hat, und ihn andererseits in einer unübersehbaren formalen Veränderung präsentiert. Seine Texte zeigen eine deutlich vorhandene Wirklichkeit, die aber genauso deutlich geformt wird.

Welchen Stellenwert hat der Fichte-Preis für Sie?

Der hat für mich eine große Bedeutung, nicht nur finanziell, sondern auch ideell, weil ich mich Hubert Fichte über viele Jahre sehr verbunden gefühlt habe. Ich weiß, daß er nicht katholisch gewesen ist, aber kurze Zeit in einem katholischen Waisenhaus zugebracht hat. Ich bin katholisch erzogen worden und ein begeistertes katholisches Kind gewesen. Ich habe einfach dieses ganze Theater in der Kirche sehr genossen. Ich bin sicher, daß sich dieser Pomp, diese Liturgie in irgendeiner Weise niederschlägt. Die katholische Kirche hat das sehr Üppige und andererseits diese Litaneien, dieses Monotone – beides ist bei Hubert Fichte zu finden. Dieser Kontrast zieht mich an: die Neigung zum Üppigen und gleichzeitig zum sehr, sehr Strengen.

Was gehört zum Handwerkszeug der Schreiberin Brigitte Kronauer?

Es gehört ein gutes Gedächtnis dazu und eine Technik, Eindrücke, Gedankengänge und Wörter, bestimmte Ausdrücke im Kopf zu speichern. Es gehört natürlich mit dazu, daß man etwas von Dramaturgie versteht.

Wie finden Sie ihre Form für die Verdichtung der Wirklichkeit?

Für mich sind vor allem Zusammenhänge wichtig. Und Zusammenhänge bilden heißt auch in einem sehr starken Maße Selektion. Für mich ist entscheidend, mir als Schriftstellerin immer klar zu sein, in welchem Maße das eine Selektion ist. Eine Ordnung der Wirklichkeit bedeutet auch eine Verfälschung der Wirklichkeit.

Sie haben poetisches Schreiben einmal gleichgesetzt mit Handeln.

Ja, für Schriftsteller sind die Wörter so real wie die Wirklichkeit. Jetzt könnte man einwenden, eine Beschimpfung sei etwas anderes als eine Ohrfeige – aber das käme noch drauf an. Ich will damit sagen, daß Schriftsteller nicht, wie es oft heißt, „nur“ Schreibende sind: Wenn man seine Sache, so wie man sie machen will, gut macht, nämlich mit Wörtern, ist man durchaus ein Handelnder.

Sind Ihre Bücher so planvoll und sorgsam erschaffen wie Bauwerke?

Das würde ich schon sagen. Sie sind als Architekturen gedacht und entworfen, wobei ich mir zunehmend größere Lücken in der Vorstellung gönne. Die Frau Mühlenbeck habe ich wirklich bis ins Letzte geplant, aber je freier man wird und je mehr man seinen epischen Kräften traut, desto mehr kann man ganze Textbereiche gleichsam schwarz lassen und erst allmählich ausgestalten.

Kann ein so strenges Erzählmuster wie das von Frau Mühlenbeck im Gehäus auch zu starr werden?

Die Frau Mühlenbeck ist im Grunde genommen ein Demonstrationsobjekt gewesen. Sie soll darstellen, daß eine Person in traditionellen, anekdotischen Erlebenisaufbereitungen der Wirklichkeit immer wieder zu genau denselben Schlüssen, denselben Maximen kommt. Letzten Endes steckt hinter dem Roman eine Kritik an der Literatur in unserem Kopf, an den literarischen Mustern in unserem Kopf, die etwas Alternativloses haben. Wenn ich sagen würde, ich hätte einen moralischen Appell in meiner Literatur, dann lautet er, daß die Wirklichkeit nicht alternativlos ist.