„Netter Junge. Denunziant. Jungnazi.“

■ Leeraner Stadtrat beleidigt Sozialhilfeempfänger und Juden und wünscht psychisch Kranken „die Endlösung“

Leers Sozialdemokraten haben ein großes Problem mit Namen Gerd Koch. Den nennt Michael Fürst, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden Niedersachsens, „Jungnazi“. Leonhard Oehle vom niedersächsischen Landesverband der Roma und Sinti nennt ihn „elender Denunziant“. Nur Hans Többens, der Sprecher der Leeraner Werbegemeinschaft, fand Koch bisher einen „netten Kerl. Spinnt, aber harmlos.“ Doch neuerdings sagt auch Többens: „Die Äußerungen von Rechtsanwalt Koch sind untragbar und nicht zu tolerieren.“ Er wird Koch nicht mehr als Einzelreferent einladen ( taz v. 20.7.).

Der Rhauderfehner „General Anzeiger“ brachte den Stein Ende letzter Woche ins Rollen. Er berichtete über die Einweihung eines Mahnmals für die aus dem Dorf vertriebenen und ermordeten JüdInnen. Wie notwendig dieses Mahnmal sei, so der General-Anzeiger, zeige ein Brief des Rechtsanwaltes Gerd Koch, adressiert „an den Leeraner Judenverein (oder so)“. Gemeint ist die Gesellschaft zur christlich-jüdischen Zusammenarbeit. In Kochs Brief hieß es: „Gewisse Zeitgenossen tun immer neue Geldquellen auf.“ In den USA und der Schweiz werden „nun noch Versicherungen abgegrast“. 50 Jahre nach Kriegsende werde „abgezockt“. Gemeint sind ZwangsarbeiterInnen und JüdInnen, die vor amerikanischen Gerichten um ihr von den Nazis konfisziertes Vermögen streiten. Juden kann Koch nicht leiden; er hat versucht zu verhindern, daß Nachkommen vertriebener jüdischer Leeraner nach Leer eingeladen werden.

Stadtbekannt ist auch Kochs Brief an einen psychisch kranken Bettler. Darin fordert er den Mann auf, sich der „Endlösung“ zuzuführen, wie der General-Anzeiger berichtet hat. Einen Tag später kupfert die Leeraner „Ostfriesen-Zeitung“ die Geschichte ab, die kurz zuvor noch ein lustiges Urlaubsfoto von Koch, dem Chef der Allgemeinen Wählergemeinschaft AWG, publiziert hatte. Jetzt kommt der siebenzeilige Brief von Stadtrat Koch an den „Leeraner Judenverein“ als Aufmacher – unkommentiert.

Erst jetzt distanziert sich der Leeraner Bürgermeister Günther Boekhoff, SPD-Parteimitglied, von Koch. Gestern drucken alle Lokalzeitungen eine Erklärung ab: „Mit großer Betroffenheit hat Bürgermeister Günther Boekhoff den Brief von Gerd Koch ... zur Kenntnis genommen.“ Zu diesem Statement war es allerdings erst gekommen, nachdem die taz den städtischen Pressesprecher Rolf Dannen mit den Vorwürfen des Landesverbandes der niedersächsischen Sinti und Roma konfrontierte. Darin heißt es, Koch denunziere gezielt Leeraner Sozialhilfeempfänger.

Gemeint sind Angriffe Kochs auf eine Sinti-Familie, deren Vater vor kurzem gestorben ist. Die Frau des Verstorbenen hat Koch bei der Behörde als mögliche Sozialhilfebetrügerin denunziert. Postwendend erstattete die Stadt Anzeige; nach Berichten der Ostfriesenzeitung geht es dabei auch um die Verschiebung von Autoschrott, an der Familienmitglieder beteiligt sein sollen. Das Verfahren läuft. Die Ostfriesenzeitung veröffentlichte viele Details. Nicht alle.

Die Frau, die Koch zu denunzieren versuchte, ist eine Überlebende des KZ Ravensbrück. Ihr Mann war acht Jahre im KZ Buchenwald; nachweislich an den Folgen der KZ-Haft ist er gestorben. Der Verband der Roma und Sinti in Niedersachsen hat für beide nach Jahrzehnten eine kleine Rente erstritten. Die Frau erhält jetzt monatlich 100 Mark aus dem Härtefonds des Landes Niedersachsen – als Ausgleich für die Haft. Das Geld ist rechtlich nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen.

Die SPD tut sich schwer mit Gerd Koch. Wegen mangelnder Distanz zu ihm und seiner Wählergemeinschaft hat sich die Fraktion gespalten – und nach der letzten Kommunalwahl ihre absolute Mehrheit verloren. Sieben linke SPD-Ratsmitglieder bilden jetzt eine eigene Fraktion, die „Unabhängigen Sozialen Demokraten“. Seitdem regiert die SPD gemeinsam mit der CDU und der AWG von Koch.

Der fährt seine Attacken unterdessen im Namen der AWG aus seinem Anwaltsbüro in Leer; seine Parteileute müssen spuren. Nur ein AWG'ler wagte es, den Kopf zu heben. Stadtrat Helmut Steen, Ex-Marktmeister der Stadt: „Ich bin Naziopfer. Mein Vater war Kapitän und wurde zwangsweise von den Nazis eingezogen. Er ist 1944 im Stettiner Haff auf eine Mine gelaufen. Vom Engländer oder Amerikaner oder so. Ich klage als Naziopfer. Ich will das Geld haben, das mir durch den Tod meines Vaters verloren gegangen ist.“ Gegen wen er klagt, daß weiß Steen noch nicht.

Thomas Schumacher