„Eigentlich wollten wir hier angeln“

Gehe in den Alltag, begib dich direkt dorthin, gehe nicht über Kunst, ziehe nicht 4.000 Mark ein. Im Berliner Haus am Waldsee sägen Dellbrügge & de Moll mit ihrer „Modell“-Retrospektive am Überbau des Kunstbetriebs und anderen Utopien der Moderne  ■ Von Katrin Bettina Müller

Ein Kollege von der Kunstkritik versucht die Türen aufzuschieben, aber es geht nicht. „Der Diskurs findet hier statt“ vermeldet eine Schrift an der Wand neben dem Kasten, und das anregende Gemurmel der Stimmen, das durch die Ritzen dringt, ließ einen im Berliner Haus am Waldsee schon zwei Räume weiter vorn befürchten, etwas zu verpassen.

Der „Diskurs“, heilige Kuh der Kunsttheorie, als ein Dummy, der nur so lange als spannungserzeugendes Instrument funktioniert, wie er exklusive Teilnahme verspricht? Ganz so abschätzig gegenüber Theorie und Kommentar haben Dellbrügge & de Moll es wohl nicht gemeint, als sie 1995 ihren weißen Würfel mit eben jener Aufschrift auf dem Marktplatz von Langenhagen zum Thema „Kunst im städtischen Raum“ aufstellten. Immerhin sind dem Theorie-Mix, der von einer CD hinter den verschlossenen Türen abgespielt wird, tatsächliche Gespräche über den Kontext vorausgegangen. Aber das Paradox, daß der Kunstdiskurs um so mehr zu einer Sache der Experten wird, je heftiger die Integration der Kunst ins Leben eingefordert wird, war dem Berliner Künstlerduo nicht entgangen.

Der Humor, mit dem Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll seit Ende der achtziger Jahre nicht nur am System Kunst teilnehmen, sondern auch seine Regeln kommentieren, ist bestrickend, manchmal in wörtlichem Sinn. Den Mitarbeitern des Kunstvereins Bonn, der seit dem Bau der Bonner Museumsmeile ökonomisch an den Rand gedrängt wurde, liehen sie eine Wintersaison lang Pudelmützen mit dem eingestrickten Wort „Peripherie“.

Im Haus am Waldsee blicken sie nun auf fast zehn Jahre versuchte Einmischung zurück. Nachdem schon ihr Name Dellbrügge & de Moll zu einem Logo geworden ist, das sich von der Vorstellung der Kunst als subjektiver Entäußerung eines Autors verabschiedet, fassen sie auch ihre Projekte als offene Modellsituationen auf, in denen die Verständigung über Kunst mit anderen geübt wird. Auf Mißverständnisse aber reagieren sie nicht mit dem verbissenen Trotz des gescheiterten Utopisten, dessen Traum von der solidarischen Gesellschaft an der Segmentierung der Öffentlichkeit zu zerbrechen droht, sondern mit einem Witz, der gerade in den Fehlleistungen kultureller Institutionen seine Beute für den Kommentar findet.

So taugen vor allem die Geschichten der nicht realisierten Projekte als Lehrstücke über das Wunschobjekt Kunst. 1990 hatten Dellbrügge & de Moll einen Wettbewerb für einen Konferenzsaal im Innenministerium in Stuttgart gewonnen. Sie wollten auf die Architektur aus den fünfziger Jahren mit fotografischen Künstlerporträts der gleichen Zeit reagieren, an denen heute noch die Übereinstimmung zwischen Werk und Selbststilisierung beeindruckend ist. Aber Ministerialbeamte verhinderten die Realisierung, die nicht zuletzt den historischen Kontext einer Zeit zurückgebracht hätte, in der die Gesellschaft den Künstlern noch genügend Gründe lieferte, sich als Einzelkämpfer zu fühlen.

Doch die Arbeit mit der Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit stößt immer dort an ihre Grenzen, wo die Kunst noch als Utopie alten Zuschnitts gebraucht wird. Für die Ostsee-Biennale 1996 in Rostock hatten sie sich Schilder wie „Art Club Rostock“, „produzentengalerie“ oder „Kunstforum“ ausgedacht, die an alten Speicher- und Bürgerhäusern angebracht werden sollten.

Die hätten nicht nur den eklatanten Widerspruch zwischen Behauptung und Bestand ins Bewußtsein gerufen, sondern auch die westliche Institutionalisierung des Kunstbetriebs in den Osten gespiegelt. Für die Ironie dieses Potemkinschen Dorfes fehlte aber die Basis, die Erfahrung mit der Kulturbürokratie. So blieb es bei einer Diaserie, die heute von der nicht stattgefundenen Kampagne „Kunst nach Rostock“ erzählt.

Man muß viel lesen in der Berliner Ausstellung. Besonders bei dem Projekt „Hamburg Ersatz“, das zur Zeit im Internet aufgebaut wird, braucht man die Wandtäfelchen als Gebrauchsanweisung, um die merkwürdigen Objekte zuordnen zu können. Statt nämlich selbst Visionen zu entwerfen, beschäftigen sich die Dellbrügge & de Moll im „Hamburg Ersatz“ mit einem Recycling alter Utopiemodelle. Da steht zum Beispiel ein merkwürdiger grauer Kasten mit Löchern, der irgendwie zum Reingreifen und im Dunkeln fummeln einlädt. Weit gefehlt, wer hier ein erotisches Tastobjekt vermutet. Es ist der Nachbau eines Werkzeugkastens, der David Henry Thoreau zu der Überlegung veranlaßte, ob der Mensch nicht mit einer solchen Kiste als trockenem Schlafplatz ausgerüstet auf alle übrige Habe verzichten könnte.

Kaum weniger verblüffend in ihrer Bescheidenheit wirkt die Kugel aus Kletten, mit der Buckminster Fuller am Black Mountain College das einzige Modell seiner geodätischen Kuppel bauen konnte, die mehr oder weniger fast alle Probleme der Menschheit lösen sollte: keine komplizierte Formel, keine geheime Maschine, bloß Kletten. Indem die Künstler den Materialbestand der Zukunftsbilder noch einmal in den Blick nehmen, arbeiten sie viel über die Abhängigkeit der utopischen Metaphern von den Lebensumständen ihrer Erfinder heraus.

Das trägt nicht nur zur Entheroisierung und Erheiterung bei, sondern hilft auch, die Formen der symbolischen Verständigung als etwas Lebendiges zu begreifen, das man immer wieder nach seiner Herkunft befragen muß. So kann man, was Dellbrügge & de Moll über die Bedingungen der Kunstproduktion herausfinden, getrost als Modell begreifen, das auch für andere Zeichenebenen gilt.

Uff, uff, nach so viel Theorie hat man eine Pause verdient. „Eigentlich wollten wir hier angeln“ haben die Künstler an die Wand geschrieben und dazu ein nettes Piktogramm vom Waldsee und gegrillten Fischen entworfen. Es müssen nicht immer die großen Utopien sein, die den Sinn für das Eigentliche wecken.

Dellbrügge & de Moll: „Modell“, bis 18. Oktober, Haus am Waldsee, Berlin.

Das Projekt „Hamburg Ersatz“:

http://hamburg-ersatz.trmd.de