■ SommerSchule
: Gefesselte Kreativität

In der SommerSchule diskutieren LeserInnen die Zukunft von Schule und Hochschule.

Kaum ein Land sortiert die Kinder so früh. Im Vergleich mit allen westeuropäischen und angloamerikanischen Ländern sind es stets die deutschsprachigen Staaten, die bereits nach der vierten Klasse eine Entscheidung über die akademische Zukunft von Kindern erzwingen. Gespräche mit KollegInnen und Studierenden anderer Länder enden oft in ungläubigem Kopfschütteln darüber, daß LehrerInnen in Deutschland die Macht haben, über Bildungs- und Berufsweg von Zehnjährigen zu entscheiden.

Daß Deutschland bei der Schulreform einen großen Nachholbedarf hat, hat mit Geschichte zu tun. Die Reformbestrebungen der 20er Jahre wurden hierzulande nicht weitergeführt. Im Gegenteil, die Nationalsozialisten bauten das gegliederte Schulsystem aus. In den westlichen Besatzungszonen gab es zwar nach dem zweiten Weltkrieg Bemühungen, dieses Selektionssystem abzubauen. Nicht zuletzt wegen der ständigen Abwehr gegen die „Einheitsschule“ der DDR blieben diese Reformen stecken. Dabei gab es stets Kritik an der selektiven Schulpraxis. Eine amerikanische Bildungskommission kommentierte, „dieses System hat bei einer kleinen Gruppe eine überlegene Haltung und bei der Mehrzahl der Deutschen ein Minderwertigkeitsgefühl entwickelt, das jene Unterwürfigkeit und jenen Mangel an Selbstbestimmung möglich machte, auf denen das autoritäre Führerprinzip gedieh“.

Die Debatte um den Erhalt der sechsjährigen Grundschule in Berlin ist daher kein Abwehrkampf, sondern der Versuch, anderen Bundesländern ein Vorbild zu sein. Denn in Zukunft wird es um ganz andere Formen von Leistung gehen, als sie ein mehrgliedriges Schulsystem züchtet: Es fördert Einzelkämpfertum, sturen Regelgehorsam, das Repetieren auswendig gepaukter Formeln – all das, was als Grundqualifikation nicht mehr ausreicht, um wirtschaftliche Erfolge zu erzielen oder auch nur ein Fußballspiel zu gewinnen.

Das deutschen System lehrt allenfalls in Ausnahmefällen:

1. offen Fragen zu stellen. Der Lehrer/die Lehrerin könnte vielleicht merken, daß man etwas noch nicht verstanden hat.

2. über einen längeren Zeitraum komplexe Probleme in Projektform zu bearbeiten. Projekte werden meist kurz vor den großen Ferien durchgeführt, wenn die SchülerInnen bereits ausgestiegen sind.

3. kooperativ in leistungsmäßig vielfältigen Gruppen Lösungen für offene Fragen zu suchen. Von Anfang an stellt sich nämlich die Frage: Wie wäre Gruppenarbeit zu zensieren? In Leistungskursen der gymnasialen Oberstufe ist diese Lernform gelegentlich anzutreffen. Dabei hat diese „Elite“ jedoch nicht die Chance, unterschiedliche Formen des Herangehens an ein Problem zu erfahren.

Deutsche LehrerInnen haben die dafür notwendigen Methoden zumeist nicht gelernt. Wenn sie in ihrem Studium erworbene kreative Formen des Lernens praktizieren wollen, wird dies oft genug von den Rahmenbedingungen behindert – hohen Klassenfrequenzen, häufigem Unterrichtsausfall und, wieder, dem Zwang zu rigiden Formen der Leistungsbewertung. Jutta Schöler

Die Autorin lehrt Erziehungswissenschaften an der Technischen Universität Berlin.