■ Vorlauf
: Immer auf den Hut

„Brecht und Moskau“, 23.10 Uhr, Arte

Dieses Jahr ist Brecht-Jahr. Da hat man schon einiges gelernt. Vor allem, daß Brecht kein guter Mensch war. So hat er seine Stücke nicht alleine geschrieben, seine Frauen haben ihm dabei geholfen. Was nun? „Der Mensch ist gar nicht gut. Drum hau ihn auf den Hut“, so die „Dreigroschenoper“: „Hast du ihn auf den Hut gehaut. Dann wird er vielleicht gut.“ Also, zack, bekommt Bert jetzt noch einen auf die Mütze, im Fernsehen, von Andreas Christoph Schmidt. Der hat sich in Moskau umgesehen und einen Dokumentarfilm über Brechts vier Kurzaufenthalte gedreht: „Brecht und Moskau“.

Zum ersten Mal reiste der Dramatiker 1932 in das „Land der Vernunft“, wie er damals fröhlich während der Zugfahrt jauchzte. 1935 kommt er noch einmal, schreibt eine „Lenin-Kantate“ und läßt sich von einem Gastspiel der Peking Oper zu einem Aufsatz inspirieren: „Der Verfremdungseffekt in der chinesischen Schauspielkunst“. Vom V-Effekt hatte er aber auch schon bei den Moskauer Formalisten gehört. Zum Beispiel beim Schriftsteller Sergej Tretjakow – „meinem Lehrer, dem großen Freundlichen“ – der Ende der 30er in einem Lager verschwand.

Darüber hat Brecht sich ein bißchen gewundert, mehr nicht. Und auch zu den anderen Kulturmenschen, die in Stalins Sowjetunion einfach verschwanden, hatte er nichts zu sagen. Denn Brecht war auf dem linken Auge blind: Er hat gewußt, was der totalitäre Terror in der Sowejtunion anrichtete, aber er hat es nicht wissen wollen – das, zack, ist der Hauptanklagepunkt des Films. Schmidt kann ihn mit einigen bisher unveröffentlichten Dokumenten belegen. Deshalb tritt er kräftig und wohl auch ein bißchen schadenfroh gegen das eh schon wacklige Denkmal: Mal gucken, was nach diesem Jahr von Brecht noch übrig ist.

Mal gucken. Vielleicht werden wir ihn dann sogar noch mehr lieben. Einfach so. Nach einer Voraufführung des Films meinte auf jeden Fall einer der Zuschauer, Brecht werde ihm immer sympathischer: „So wie mir auch Clinton nach den Enthüllungen über seinen Oralsex viel sympathischer geworden ist.“ Kolja Mensing