Danke (6)
: Kampf des Wählers

■ Vom Dabeisein-Wollen, aber Nicht- einsteigen-Können: 16 Jahre sind ein Leben

„Es heißt Wahlkampf, hast du darüber eigentlich schon mal nachgedacht?“ fragte der Kollege irgendwie triumphierend und mit einem Lachen. Vielleicht hing das mit dem Artikel über Christian Ströbele zusammen, den er gerade produzierte, vielleicht nicht. Jedenfalls lachte er so kurz wie heftig. Ein plötzliches Redakteurslachen inmitten von Telefonklingeln, Gesprächsfetzen über Seitenpläne und Nein-wir-drucken-wirklich- keine-politischen-Gedichte. Es war ein Laut des Erkennens.

Tatsächlich ist die bevorstehende Bundestagswahl ein Kampf. Nicht für die Politiker, die sich bloß formschön den Wind einer irgendwie öffentlichen Meinung in den Rücken blasen lassen müssen. Aber für die Wähler. Sie trifft das Wählen-Dürfen ungeschützt und zielgenau. Im wirklichen Leben interessiert einen die Republik ja nicht. Es ist genug, zu wissen, daß alles anders werden muß. Gesundheitsreform, Steuergesetze, und wer die Selbstherrlichkeit des Dicken noch zwei Jahre ertragen will, hat es nicht besser verdient. Einerseits.

Andererseits läuft einem die Greifbarkeit eines Regierungswechsels auch kalt den Rücken hinab. Was ist, wenn sich die Politik wirklich ändert, und ich wäre dabei? Geistig so weit hinausgeschwommen, hält man den Untergang des Rettungsringes SPD nämlich für ausgemacht. Und das nicht nur wegen des Schröderschen Willens zur Macht (“Wir werden nicht alles ändern, aber vieles besser machen“) oder der Einsicht, daß nichts in der Welt nur eine Seite hat, und wenn, dann keine gute. Die Gewißheit, daß Rot und Grün keine Regierungsfarben sind, kommt vielmehr daher, daß man selbst mit von der Partie sein könnte. Das war – 16 Jahre sind ein Leben – bei jemandem Jahrgang 1966 womöglich noch nie der Fall, und mir persönlich ging es gut dabei.

Wieder andererseits grinst einem dieses Denken recht würdelos entgegen, und vielleicht ist die Wahrheit zwar irgendwo da draußen, aber hier und jetzt gibt es auch ein warmes Plätzchen. Unsinn. Da ist nichts, versetzt wieder das Bewußtsein des westlich sozialisierten poststudentischen Thirtysomethings, zumindest nichts, wofür es sich lohnte.

Es ist das gute, alte Problem des Dazwischen, hallo, komm rein. Zu jung für den Deutschen Herbst, zu alt für die Berliner Republik. Kein Protest, kein Aufbruch. Als Nachfahre von Angestellten zu angeödet aufgewachsen, um einsteigen zu wollen, aber auch zu ungepolstert, um den Überlebenstrieb anprangern zu können. Das ist kein intellektueller Dünkel, weil gleichermaßen gegen das Frauenprojekt in Nicaragua wie die gedecktfarbene Designerklamotte gerichtet. Obwohl der Wolfgang Joop ja ironiefähig ist. Aber nein, das alles erklärt nicht diesen Zwiespalt des Dabeisein- Wollens aber nicht –Könnens. Es ist vielmehr – Fortsetzung folgt. Petra Kohse

Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz