„Die Bonzen kraulen sich die Bäuche“

■ In Rußland wächst der Unmut über unfähige und korrupte Politiker

Für das Geschacher um Posten und Macht haben die Menschen in Rußland schon längst kein Verständnis mehr. Einige Stimmen aus dem Moskauer Stadtteil Scheremuschki:

Dmitri Dementjew, Generaldirektor einer Baufirma: Wir haben uns zu lange vom Ausland abhängig gemacht. Was nützt es Rußland, wenn Joghurt aus Deutschland oder Finnland kommt? Gibt es hier keine Kühe? Unsere Großindustrie liegt in den Händen der Oligarchen. Die kaufen sich Yachten auf Ibiza. Die Großindustrie muß verstaatlicht und der Mittelstand gefördert werden. Vielleicht schafft Tschernomyrdin das, ich würde ihm noch eine Chance geben.

Grigori, Wachmann: Wir haben heute genau die gleiche Situation wie 1917. Das Volk ist hoffnungslos verarmt, und die paar Bonzen kraulen sich die Bäuche. Ich denke, es gibt bald eine Revolution. Dann wird rücksichtslos aufgeräumt mit den Schmarotzern, und wir errichten ein starkes Rußland, das nicht mehr Herrn Clinton um Almosen anbetteln muß.

Maria Selenskaja, Verkäuferin: Hier stehen nur noch die teuren Westwaren herum, teilweise fünfmal so teuer wie vor einem Monat. Und Salz, Mehl und Nudeln sind völlig ausverkauft. Ich glaube, daran ist unser Saufkopf Jelzin schuld. Der hat doch keine Kontrolle mehr. Man soll ihn auf seine Datscha schicken und ihn dort in Frieden sterben lassen.

Irina Petrowa, Rentnerin: Tschernomyrdin hat 4 Milliarden Dollar auf dem Konto. Das zeigt doch, was für ein Bandit der ist. Den und seine Kumpanen muß man absetzen. Der einzige, der unser Land noch aus dem Chaos ziehen kann, ist unser Bürgermeister Juri Luschkow. Der sorgt dafür, daß die Renten gezahlt werden. Und an seiner Seite brauchen wir Grigori Jawlinski, weil der der einzige von diesem Haufen ist, der was von Wirtschaft versteht.

Sergej Rassafonow, Parkwächter: Wir werden nach Strich und Faden von den Politikern abgezockt. Wie kann das sein, daß hier Abgeordnete der Stadtduma mit einem 600er Mercedes vorfahren, obwohl die angeblich nur 1.000 Dollar im Monat verdienen? Die sind doch alle korrupt. Ich glaube, es gibt bald Bürgerkrieg. Wer da gewinnt, ist mir egal. Für mich kann es nur besser werden, denn mit meinem Gehalt von 20 Dollar kann ich nicht überleben. Karsten Grawert