Billige Marken auf der grünen Wiese

■ Im ersten Factory Outlet Center Deutschlands wollen Markenhersteller Ausschußware verscherbeln. Einzelhändler befürchtet Einbußen. Senat unterstützt Klage gegen das Center

Mit viel Widerstand wurde vergangenen Donnerstag mit dem Bau des ersten Factory Outlet Centers (Foc) in Deutschland begonnen. Der Bezirk Spandau reichte am gleichen Tag beim Gericht einen Einspruch gegen die Baugenehmigung ein, der Berliner Senat erklärte einen Tag später, die Klage zu unterstützen. Auch Einzelhändler übten starke Kritik.

Westlich von Berlin, in Wustermark, soll das Einkaufszentrum mit 60 Geschäften entstehen, wo Markenhersteller Produkte der letzten Saison oder zweiter Wahl verkaufen sollen. Schon im nächsten September soll es eröffnet werden – wenn denn die Klage des Bezirks Spandau vom Potsdamer Gericht nicht zurückgewiesen wird. Erfolg könnte der Einspruch haben, wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, das Bauvorhaben könne zu erheblichen strukturellen Veränderungen und städtebaulichen Wirkungen im nahegelegenen Spandau führen.

Die Idee der Factory Outlet Center stammt aus den USA. Auch wenn es in Deutschland bisher solche Center nicht gibt, ganz neu ist das Grundkonzept nicht: Schon jetzt bieten in über 800 Fabrikverkaufsstellen Markenhersteller ihre Ausschußware zu einem niedrigeren Preis an. Neu ist in Deutschland aber, eine Vielzahl solcher Geschäfte auf der grünen Wiese zu konzentrieren.

Gewinner der Focs sind neben den Hersteller von Markenprodukten auch die Verbraucher, zumindest die markenbewußten Schnäppchenjäger. Für ein Jil-Sander-Kostüm oder einen Boss-Anzug muß ein Kunde nur noch 30 bis 70 Prozent des ursprünglichen Preises ausgeben, so die Angaben der Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA). Und die Markenhersteller gewinnen einen Absatzmarkt für ihren hohen Ausschuß, ohne daß das Image ihrer Marke leidet. Bisher verscherbeln die Produzenten fehlerhafte Ware mit rausgetrenntem Etikett in China oder Osteuropa und machen dabei fast noch Verluste.

Doch könnten die Focs, wie nicht nur Berliner Politiker befürchten, zu einer Verödung der Innenstädte und zu mehr Verkehr führen. „Dem Einzelhandel entschwindet sein wichtigstes Segment“, wie der Geschäftsführer des Deutschen Einzelhandels (HDE), Robert Weitz, beklagt. Denn die typischen Waren eines Focs, wie Bekleidung und Lederwaren, seien das wichtigste Segment des innenstädtischen Einzelhandels. Hier seien die Gewinnspannen am höchsten, zudem locken gerade diese Waren Kunden in die Innenstadt. Und da dieser Markt nicht wachse, sondern schmaler werde, so Weitz, gehe jede Mark, die im Foc ausgegeben wird, dem Handel verloren.

Das Spandauer Bezirksamt verweist auf Schätzungen, wonach Einzelhändler im einem Radius von 25 bis 30 Autominuten um die Focs Umsatzeinbußen bis zu 25 Prozent hinnehmen müßten. Das Foc in Wustermark würde demzufolge Geschäfte in Spandau schädigen, die Berliner City bliebe verschont. Auch eine im Auftrag des Bundesbauministeriums durchgeführte Studie der GMA sieht „ein hohes Gefährdungspotential für den innerstädtischen Einzelhandel“, allerdings warnt sie vor einer pauschalen Verurteilung von Focs. „Unter Umständen“, sagt der Projektleiter Joachim Will, „kann ein Foc positive Impulse für die Region bringen, wenn die angereisten Kunden nach Besuch des Focs auch in die heimischen Geschäfte gehen.“ Das zweite genehmigte Foc, das in nächster Zeit in Villingen-Schwenningen, nahe Stuttgart, entstehen wird, war sogar von den dort ansässigen Einzelhändlern aus eben diesem Grund gefordert worden.

Der Betreiber des Focs in Wustermark, ein Joint-venture des deutschen Bauunternehmens Demex Systembau aus München und des schottischen Unternehmens Morrison Construction, baut weiter und hält natürlich den Protest des Einzelhandels für übertrieben. Der Anteil der Focs am Einzelhandelsumsatz werde höchstens drei Prozent betragen, meint eine Sprecherin des Bauherrn, zudem sei man keine direkte Konkurrenz für entsprechende Fachgeschäfte. So wird nicht nur in Spandau mit Spannung verfolgt, wie das Potsdamer Gericht im Fall Wustermark entscheidet. In der Umgebung von Berlin, in Ludwigsfelde (Teltow- Fläming) sowie Oranienburg sind zwei weitere Focs geplant, deutschlandweit fünfzig, doch ist hier noch nicht die Baugenehmigung erteilt. Auch hier prüfe der Senat derzeit alle Rechtswege, betont Dietrich Flicke, Referatsleiter für Stadtplanung und Entwicklung. Zudem bemühe man sich um Kooperation mit den betroffenen Landkreisen, um die Focs noch zu verhindern. Karen Wientgen