Echse auf Abwegen

In den USA war der Erfolg von „Godzilla“ bescheiden. Es liegt nicht an der Größe, sondern an der Technik: Niemand fürchtet sich vor Roland Emmerichs digitalem Monster  ■ Von Harald Fricke

In Deutschland geht die Ankunft von „Godzilla“ seltsam still über die Bühne. Nirgends sieht man seine giftgrünen Kratzspuren auf Reklametafeln in den Fußgängerzonen leuchten, kein Witz über die Länge seines Schwanzes grinst einem von Brummis oder Buslinien entgegen. Statt dessen gab es bloß eine verblüffend sachliche Exklusivreportage auf Sat.1, und manchmal hört man auch das atmosphärische Sauriergekreische als Lockruf im Radio. Die mediale Ausbeute an dem als größtes Event des Jahres angekündigten Film ist zum deutschen Start erstaunlich mager.

Offenbar lagen die Dinge in Amerika ganz anders. Dort paßte die Phantasie vom Giga-Monster zu den Aufgeregtheiten um Viagra-Pillen und die Bettaffären des Präsidenten. Daneben war man natürlich gespannt, ob sich der Saurier auf dem US-Markt überhaupt bewähren könnte. Die Adaption der japanischen Legende klang ja zunächst eher obskur: 1954 von Inoshiro Honda erstmals verfilmt, war „Godzilla“ im Original die Geschichte über ein Ungeheuer, das nach Atomtests im Pazifik aus dem Meer auftaucht, Tokio zerstört und erst mit dem Einsatz der Wasserstoffbombe vernichtet werden kann. Am Ende stehen Wissenschaftler betrapst herum, schauen auf den im Ozean versinkenden Kadaver und sinnieren über die Ängste angesichts der atomaren Bedrohung. Schwer zu glauben, daß die Story auch – und ausgerechnet – in den USA funktionieren könnte.

Die irgendwo zwischen tapsigem Molch und gewaltiger Echse angesiedelte Figur wurde zur Allegorie auf das japanische Trauma nach Hiroshima und Nagasaki. In insgesamt 22 Verfilmungen rettete Godzilla Japan vor Aliens from outer space, dann wieder durfte er zornig Wohnsiedlungen oder Industrieparks zertrümmern und die Japaner für ihren High-Tech- Übermut bestrafen. In „Godzilla gegen Hedora“ mußte der Atommutant die Erde gegen ein schlabberig-graues Ding verteidigen, das aus Smog entstanden war. Mit Splatter oder sonstwelchem Grusel hatte das alles nichts zu tun: Die Filme mit ihren spielzeugähnlichen Gummitierchen sahen nach Augsburger Puppenkiste aus und machten Godzilla bei westlichen Trashfans enorm populär.

Vor zwei Jahren war Schluß mit Godzilla. Angesichts des Manga- Booms rentierte sich die Katastrophenschiene nicht mehr, und die Rechte gingen von den japanischen Toho-Studios an Sony Entertainment, das sogleich den Auftrag für ein US-Remake an Columbia Pictures vergab. Nur ein Regisseur wollte sich für das Projekt nicht finden: Jan de Bont („Speed“) hatte abstruse Vorstellungen für eine ansprechende Story, Dan Cameron war bereits mit seinem Schiffsunglück eingedeckt, und Steven Spielberg arbeitet bekanntlich in seiner eigenen DreamWorks-Firma.

Auch Roland Emmerich und der Produzent Dean Devlin konnten sich erst für die Idee begeistern, als der französische Designer Patrick Tatopoulos seinen Entwurf des Monsters fertiggestellt hatte. Godzilla sah nun nicht mehr wie ein lustiges Urviech für die Badewanne aus, sondern eher nach einem durchtrainierten Kampfsaurier aus der Nintendo-Konsole. Wo früher niedliche Plattfüße und Stummelöhrchen waren, hat das neue Monster einen Körperpanzer hart wie Krupp-Stahl. Emmerich empfindet sein Geschöpf als zeitgemäß, „auch wenn mich die alten Fans dafür hassen werden“, wie er bei der Weltpremiere in Cannes sagte. Ärger gab es trotzdem: Nachdem die Japaner die Figur das erste Mal sahen, sagten sie vor Schreck gar nichts. Dann schliefen sie eine Nacht drüber und stimmten schließlich dem bis zur Unkenntlichkeit umgearbeiteten Tier zu – immerhin hatte Toho erst vor kurzem den Zuschlag für den japanischen Vertrieb von „Independence Day“ bekommen.

Was seither in den zwei Jahren der Produktion folgte, ist bekannt, die Geschichte des Emmerichschen Godzilla vielfach kolportiert. Monster kommt nach New York, Monster zerstört New York – „we kick ass“. Im Film wird also zwei Stunden lang ein urzeitlicher Saurier durch Manhattan gejagt, viel Architektur geht zu Bruch; ein paar Kampfbomber vom Typ F-18 explodieren beim Flug durch die Häuserschluchten, Puff Daddy rappt mit Led Zeppelin. Alles bleibt mega und absehbar.

Nebenbei findet ein Würmerforscher (Matthew Broderick) zu seiner Jugendliebe (Maria Pitillo) zurück, und Jean Reno muß sich als französischer Geheimagent, der seinen Auftrag darin sieht, „den Dreck wegzumachen“, den sein Land auf dem Moruroa-Atoll angerichtet hat, ständig mit schlechtem amerikanischem Kaffee herumquälen. Soweit die wenigen menschlichen Begehrlichkeiten des Films, danach rast das Monstrum wieder mit 480 Meilen durch die Stadt. Während die US- Presse über Godzillas aberwitzige Geschwindigkeit lästerte, hat Emmerich den Kunstgriff stets verteidigt: Ein 120 Meter großes Tier muß sich so schnell bewegen – es hängt mit der Schrittlänge zusammen.

Was natürlich ein großer Quatsch ist, biomechanisch betrachtet. Ein Monstrum von solchen Ausmaßen könnte gar nicht genügend Blut in seinen Raubtierschädel pumpen und würde eher durch Manhattan taumeln, als gezielt die AirForce zu jagen. In seinen Vermutungen spiegelt sich dennoch das Wesen von Roland Emmerich ganz gut wider: Nenn mir dein Phantasma, und ich sag' dir, was für ein Lausbub du bist. Bei Emmerich heißt es dann: Schaffe, schaffe, Häusle baue – und am Ende kommt der Saurier und macht dem Jungen das Haus kaputt. Die kindliche Begeisterung für große Monster und komplizierte Effekte paßt zur Mentalität des früheren Kunstmalers und Filmausstatters, der es aus der schwäbischen Provinz mit solidem Handwerk in Hollywood bis zum Nachwuchs-Spielbergle gebracht hat. Andererseits funktioniert Emmerich als Produzent von Actionfilmen wie ein Mercedes – echte Wertarbeit bis in die luxuriösen Details. Wenn der Saurierschwanz eine Häuserwand niederreißt, dann müssen selbst die Scherben der splitternden Fenster wie ein Kugelhagel durch den Raum schießen.

Was dem Regisseur an ausgefeilter Simulation gewöhnlicher Zerstörung eingefallen ist, geht jedoch auf Kosten der Inszenierung. Je akribischer die Effekte, desto kruder die Handlung. Irgendwann wird das Monster sogar mit Missiles von U-Booten aus bombardiert, mit denen man eigentlich ganz Manhattan Island auf einen Schlag in Schutt und Asche legen könnte. Doch weder Godzilla noch die letzten Reste der Stadt nehmen bei diesem finalen Countdown groß Schaden. Ähnlich halbherzig staksen auch die Schauspieler durchs Geschehen: Unbeteiligt verfolgt man, wie Soldaten unbeteiligt unter den Füßen von Godzilla zermalmt werden; nicht einmal die Frauen kreischen hysterisch, wenn ein hochhaushoher Saurier vor ihnen die Zähne fletscht. Doch wo dem Film jedes psychologische Tuning abgeht, braucht man sich im Publikum auch nicht zu fürchten – und darin liegt doch eigentlich der Reiz von Monsterfilmen.

In einer entscheidenden Szene, als Godzilla zum ersten Mal in Manhattan auftaucht, blitzt für ein paar Sekunden das ganze Dilemma durch. Auf einmal steht der ungeheure Koloß vor Hank Azaria, der einen ambitionierten TV- Kameramann mimt. Jetzt hat Azaria die Wahl: wegrennen oder filmen. Er entscheidet sich für seine Videoausrüstung. Mittlerweile hat das Tier seinen Fuß direkt über Azarias Kopf gesenkt, der sich doch spätestens jetzt fürchten müßte. Doch der Kameramann kennt nur seinen Job, und prompt erscheint auf der Leinwand – wacklig gefilmt – ein riesiges Paar Zehen aus Leder. Selbst als sich der Fuß über dem wie durch ein Wunder unverletzten Medienmann wieder hebt, spürt man keine Erleichterung – schon hat Azaria die Steadycam für ein paar Big shots mehr geschultert. Danach sind alle noch so bangen Gefühle überflüssig, selbst als wirklich einmal ein paar nette Franzosen korrekt zerfleischt werden.

Die Heldentat ist kaum mehr als eine comichafte Farce, zu der die Produktionsnotizen passen. Weil das animierte Monster erst in der Postproduction per Computeranimation eingefügt werden konnte, mußten die meisten Szenen trocken gedreht werden. Also hing bei Nahaufnahmen ein kleiner Zettel neben der Kamera, auf dem Anweisungen für die Akteure aufgeschrieben waren: „Jetzt schreien!“ hieß es dann, sonst hätte die Crew womöglich vergessen, daß man gerade an einem Schocker namens „Godzilla“ arbeitet. Damit ist man am Ende genauso harmlos geblieben wie die japanischen Vorbilder.

„Godzilla“. Regie: Roland Emmerich. Mit Matthew Broderick, Jean Reno, Maria Pitillo, Hank Azaria, u.a. USA 1998, 139 Min.