Die beste Bank ist unter dem Kopfkissen

■ Die Russen handeln in diesen Krisentagen vor allem nach einer Devise: Rette sein Geld, wer kann

Moskau (taz) – Die prächtige Schalterhalle der SBS-Agro Bank im Moskauer Zentrum ist verödet. Nur einige entmutigte Kontoinhaber drücken sich an den marmornen Säulen entlang, sich der Nutzlosigkeit ihres Streunens bewußt. Über dem Schild „Das Betreten der Bank mit Waffen ist verboten“ klebt eine Notiz: „Heute keine Geschäfte“. Der Wachmann, der nichts mehr zu bewachen hat, hört sich das Klagen eines Schlipsträgers an. In einer Ecke wiederholt ein junger, schmalbrüstiger Angestellter das, was alle schon wissen: „Nein, wir können nichts auszahlen. Alle Konten eingefroren. Doch, Sie können Ihr Konto zur Sberbank überführen. Natürlich, die Bedingungen sind miserabel.“

Die russische Zentralbank versucht seit voriger Woche, alle Privatkunden bei der Sberbank zu sammeln, deren Aktien die Zentralbank mehrheitlich hält. Die Sparer der sechs großen Geschäftsbanken können jetzt zwischen zwei Arten des Beraubtwerdens wählen: Entweder sie halten ihrer alten Bank die Treue und gehen mit ihr pleite. Oder sie wechseln zur Sberbank und hoffen darauf, daß ihnen ihre Rubel wie versprochen am 15. November ausgezahlt werden.

Doch das wird nur noch ein Spuckrest sein. Der Rubel fällt so rapide wie keine Währung der Welt in den letzten Jahren. Für den Studenten Dima stellt sich die Frage erst gar nicht: „Ich schenke lieber euch das Geld als diesem Banditenstaat“, ruft er und erntet ein Lächeln auf dem nervösen Antlitz des Bankangestellten. Alle 1.500 Banken des Landes kämpfen ums Überleben. Die Menatep- Bank setzte bereits ein Drittel ihrer Mitarbeiter auf die Straße und schloß mit den früheren Rivalen Onexim und MOST- Bank ein Notbündnis. Die zweitgrößte Geschäftsbank SBS- Agro wurde unter die direkte Kontrolle der Zentralbank gestellt. Gerüchten zufolge will man ihnen die Lizenz entziehen wie schon den ehemaligen Schwergewichten Imperial-Bank und Tokobank.

Dima hatte mit seinen Freunden 1.500 Dollar für eine Videokamera gespart. Die Journalistikstudenten wollten sich damit selbständig machen und kurze Beiträge an Fernsehsender verkaufen. Überließe er sein Geld der Sberbank, würden seine Dollar zum Kurs vom 1. September getauscht – 9,33 Rubel pro Dollar. Schon jetzt, da der Dollarkurs jenseits der 20 schwindet, hätte er somit die Hälfte des Vermögens verloren. Er unterschreibt lieber, daß er sich sein Geld in drei Jahren bei der SBS-Agro abholen wird. Doch daran glaubt niemand hier.

„Irgendwie kommt mir das bekannt vor“, lächelt Dima säuerlich, „1990 hatte ich 700 Rubel gespart, genug für drei schicke tschechische Motorräder. Als ich an mein Konto rankam, hat es noch für eine Cola gereicht.“ Bei ihm zu Hause wird die Hiobsbotschaft mit gequältem Humor aufgenommen. Er wohnt mit vier anderen in einem Wohnheimzimmer der Staatlichen Moskauer Universität. Gemeinsam haben sie sich in der schmierigen Knastatmosphäre des Hochhausblocks eine kleine Oase errichtet, das Zimmer renoviert und sogar ein jauliges Klavier aufgetrieben. Ihr mickriges Stipendium entspricht dem gesetzlichen Mindestlohn von 83 Rubel. Das sind heute etwa vier Dollar. „Aber zum Glück leben wir in Moskau, hier kriegt man noch gute Jobs“, sagt Dimas Freund Sascha. „Drei von uns arbeiten beim Privatsender NTW, drehen da so kleine Konsumclips für Hausfrauen. Da kriegt man bis zu 200 Dollar im Monat. Harte Valuta.“

Moskau ist weniger von der Krise gebeutelt als der Rest des Landes. 80 Prozent des russischen Kapitals sind in der Hauptstadt konzentriert, und der mächtige Bürgermeister Luschkow hält seine breiten Hände über seine Hauptstädter. Zwar schwindet der Lohn auch hier buchstäblich in der Hand weg, und die Preise sind auch bei einheimischen Produkten um mehr als die Hälfte angestiegen, aber zumindest wird noch gezahlt. In der Provinz sieht es düsterer aus.

„Ich komme gerade vom Baikalsee, wo meine Eltern wohnen“, erzählt Dima. „Seit drei Monaten wartet meine Mutter auf ihr Lehrergehalt. Mein Vater erhielt zwei Kilo Käse und zwei Flaschen Wodka für einen Monat Arbeit auf dem Bau. In der letzten Woche gab es bei uns nur Zwieback, dazu heißes Wasser mit Zucker.“ Seine Eltern gehören zu den unglücklichen 30 Prozent der Russen, die keine Datscha besitzen. Auf diesen Miniparzellen werden mittlerweile 90 Prozent der russischen Kartoffeln gezogen.

An den Hamsterkäufen hat sich die Fünferkommune bis jetzt nicht beteiligt. Salz und Zucker gibt es noch genug, und die übriggebliebenen Dollar werden immer wertvoller. „Das haben wir zumindest gelernt: Die beste Bank ist unter dem Kopfkissen und nicht dort.“ Dima weist aus dem Fenster. Auf dem neurussischen Prunkgebäude der SBS-Agro- Bank ist bereits der Strom für die Leuchtreklame abgestellt. Karsten Grawert