Migration für das Ansehen Deutschlands

In ihrem unveröffentlichten Bericht empfiehlt die Bundestags-Enquetekommission „Demographischer Wandel“ eine Neuorientierung gegenüber Migranten. Dies stärke auch das internationale Ansehen  ■ Aus Berlin Eberhard Seidel-Pielen

Es war wohl unter anderem dieser Satz, der dazu führte, daß der Bericht der Enquetekommission des Bundestages „Demographischer Wandel“ nicht mehr vor den Wahlen veröffentlicht wurde. „Eine politisch-rechtliche Integration steht für eine große Zahl der Zugewanderten noch aus“, heißt es dort.

Bereits im Mai war der Entwurf des Berichts von Koalitionspolitikern, die die Integrationspolitik der letzten sechzehn Jahre zu verantworten haben, als nicht diskussionsfähig eingestuft worden. Er soll nun, wie berichtet (siehe taz vom 7. 9.), erst am 29. September, also zwei Tage nach der Bundestagswahl, der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

In ihrem Papier, das der taz vorliegt, hält die Kommission der Bundesrepublik zugute, die „mit der hohen Zuwanderung zusammenhängenden Integrationserfordernisse“ bislang „volkswirtschaftlich und gesellschaftlich weitgehend gut bewältigt“ zu haben. Trotz dieser positiven Leistung glaubt die Kommission aber, daß es für die Bundesrepublik Deutschland ein übergeordnetes Interesse für einen Kurswechsel in der Ausländerpolitik gibt: „Erfolgreiche Integration von Migrantinnen und Migranten ist von großer Bedeutung für das Ansehen und die Stellung Deutschlands in Europa und in der internationalen Gemeinschaft.“ Und weiter heißt es: „In einer Zeit globaler Wirtschaft ist es wichtig, welchen Eindruck von Deutschland die in ihre Herkunftsländer zurückwandernden Migrantinnen und Migranten mitnehmen. Ein positives Deutschlandbild kann sowohl bei der Erschließung von Märkten helfen als auch internationale Zusammenarbeit fördern.“

Damit Schaden von Deutschland abgewendet wird, schlägt die Kommission vor, bei der Bewältigung von Integrationsproblemen den bislang beschrittenen Weg zu verlassen und sich stärker an internationalen und europäischen Standards zu orientieren.

So fordert die Kommission die Errichtung von Sprach- und Integrationskursen für Erwachsene, wie sie zum Beispiel in den „Immigration Centers“ in Israel bestehen oder in den Niederlanden obligatorisch sind. Darüber hinaus „Einbürgerungskurse“ für alle, die sich einbürgern lassen wollen. Ziel der Übung: „Verbindliche Kurse könnten dazu beitragen, die Akzeptanz der Neubürger in der einheimischen Bevölkerung zu verstärken.“

Weitere Defizite sieht die Kommission vor allem im Bildungssystem. Sie empfiehlt deshalb die Eingliederung der Migrantenkinder in Regelklassen ebenso wie die Ausweitung der interkulturellen Kompetenz der Beschäftigten in Kindergärten und Schulen. Mehr als bisher müßten ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien über Möglichkeiten beruflicher Qualifikation und Sozial- und Förderleistungen informiert werden.

Ethnische Quoten, vergleichbar der „affermative action“ in den USA, lehnt die Kommission ab, da sich diese nicht bewährt hätten. Allerdings müsse stärker als bisher nach „Wegen gesucht werden, die strukturelle Unterrepräsentanz von Migrantinnen und Migranten im Bereich des öffentlichen Dienstes abzubauen“.

Politisch brisant, weil konträr zur Regierungspolitik der bisherigen Koalition stehend, sind die Empfehlungen zur Einbürgerung und zum Staatsbürgerschaftsrecht. Das Einbürgerungsverfahren sollte erheblich entbürokratisiert werden und die Ermessensvorschriften soweit wie möglich durch die Anspruchstatbestände ersetzt werden: „Erleichterte Einbürgerung und das Werben für die Einbürgerung seitens des Staates stellen ein klares Identifizierungsangebot mit Deutschland dar.“ Ein Teil der Kommission fordert die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft, wie dies bereits in neun Staaten der Europäischen Union (EU) der Fall ist.

Auch bei der Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes wird die Orientierung an anderen EU-Ländern empfohlen, damit „in allen Lebensbereichen eine möglichst umfassende Gleichbehandlung verwirklicht werden kann“. Hier verlangt ein Teil der Kommission wiederum, „wie in der Mehrzahl der EU-Staaten bereits vorgesehen, die Erweiterung des kommunalen Wahlrechts auch für Zugewanderte aus Drittstaaten“, also jenen Ländern, die nicht Mitglieder der EU sind.

Ausdrücklich plädiert die Kommission bei der Integration für eine Beteiligung der Einwanderer: „Migrantenvereine, deren Aktivitäten zu Binnenintegration und nicht zur Verstärkung ethnischer Unterschiede und Segregation beitragen, sollten in die Integrationsarbeit einbezogen werden.“