Fluglotsengesten

Tragödie und Kummer-Entertainment: Imed JemÛas „Çabra“ und die Tigerl Lillies  ■ Von Christiane Kühl

Drei hohe schwarze Wände und ein steinernes Tor. Ein Tor, kein Ausweg. Das Dahinter, schwach erleuchtet, zeigt nichts als eine weitere Wand. Gefangen ist die Frau, die mit arabischem Gesang die Bühne abschreitet. Gefangen die junge Tänzerin, die ihr folgt. Nah am Boden bleiben ihre Bewegungen, der eigene Körper scheint ihr fremd. Ihren Arm verschiebt sie wie ein Rechendreieck, dann schwingt sie ihn mit den großen Gesten eines verzweifelten Fluglotsen, er würgt sie, sie schlägt, schlägt sich nicht frei.

Çabra, Geduld, heißt die jüngste Produktion des tunesischen Choreographen Imed JemÛa. Mit vier TänzerInnen aus Frankreich, Algerien und Tunesien sowie einer Sängerin und einem live spielenden Musiker wollte er ein Familiendrama auf die Bühne bringen, das die Verfahrenheit und Brutalität des islamistischen Fundamentalismus interpretiert und seine zerstörerischen Folgen sowohl im Privaten als auch in der Gesellschaft zeigt. Das ist ein hohes und hehres Ziel des Choreographen, dessen Compagnie Le ThéÛtre de la Danse als einzige unabhängige Gruppe für zeitgenössischen Tanz in Tunesien gilt. Doch die Sprengkraft, die das Thema birgt, hat keine tänzerische Explosion zur Folge. Zumindest in Hamburg, wo der gemeine Zuschauer vielleicht noch der poetischen französischen Einleitung, nicht aber den Inhalten der begleitenden arabischen Gesänge folgen kann, erschließt sich ohne Nachlesen nicht einmal die Geschichte von Vater, Mutter, Opfertod.

Nun muß Tanz keine konkreten Geschichten erzählen. Wo aber das Bewegungsrepertoire der Tänzer über 60 Minuten relativ unvariiert bleibt, nur die Gesten immer größer werden – ein Mann bekommt einen Bauchschuß, eine Frau leidet unter Waschzwang, wie überhaupt sich die maskuline Welt in Krieg, die feminine in Neurosen zu erschöpfen scheint –, stellt sich eher das Gefühl ein, etwas illustriert zu bekommen statt durch die Sprache des Tanzes vermittelt. Çabra hat fraglos schöne Sequenzen, doch bleibt es in gewisser Weise künstlerisch sehr naiv.

Naivität elaboriert zu zelebrieren ist hingegen die Stärke von The Tiger Lillies, einem Londoner Trio, daß nach der Çabra-Premiere zu später Stunde noch ein rot ausgeleuchtetes Konzert auf Kampnagel gab. „Why Can't I Have Sex With Flies?“, fragte der Herr mit Hut am Akkordeon, und seine Falsettstimme machte den Schmerz greifbar. Kontrabaß, Schlagzeug, Röcheln, Schneuzen – die ironischen „Low Life Lullabies“ sind perfektes Kummer-Entertainment.