Kein Atomausstieg mit Rot-Grün

Ein Grüner hegt Zweifel an der Glaubwürdigkeit der eigenen Partei  ■ Von Heike Haarhoff

Als man noch nicht selbst in der Regierung saß, waren Anti-Atom-Proteste, wie der morgige vor dem Reaktor in Stade (siehe Kasten), für grüne Politiker ein Heimspiel. Seit sie jedoch in Schleswig-Holstein und Hamburg mit an der Regierung beteiligt sind, gibt es in der Frage des Atomausstiegs zunehmend Verstimmungen zwischen Regierungsfraktion und grüner Basis. Grund genug für den Sprecher der grünen LAG Energie, Karsten Hinrichsen, es auf eine Konfrontation ankommen zu lassen. Im Vorfeld des Aktionstages und zwei Wochen vor der Bundestagswahl hat er „Zweifel an der Glaubwürdigkeit“ der eigenen Partei.

Hinrichsen, der als Anwohner seit fast zwölf Jahren gegen den Atommeiler Brokdorf klagt und an den schleswig-holsteinischen Koalitionsverhandlungen im Bereich Energie im Frühjahr 1996 beteiligt war, hält einen baldigen Atomausstieg, der sich allein auf parlamentarische Gesetzesinitiativen stützt, selbst unter einer rot-grünen Bundesregierung für eine „Illusion“. Den Politikern, auch denen aus den eigenen Reihen, wirft er vor, „nicht Herr des Geschehens zu sein“ und im Zweifel „vor den Energieversorgungsunternehmen einzuknicken“. So seien strenge Auflagen angekündigt worden – wie jüngst durch das Kieler Energieministerium, als es im Sommer um die Genehmigung für das Wiederanfahren der Reaktoren Brunsbüttel und Brokdorf ging. Doch als AKW-Betreiberin Preussen Elektra mit einer Schadensersatzklage drohte, „wurde klein beigegeben“.

Auch dem AKW Krümmel sei in der Vergangenheit immer wieder die Wiederanfahrgenehmigung erteilt worden. Mehrere Gutachten darüber, daß die Wiederaufarbeitung im Ausland nicht mit deutschem Atomrecht zu vereinbaren sei und die Landesregierungen außerdem nicht zwingend an die Entsorgungsgrundsätze von Ministerpräsidenten gebunden seien, lägen der Kieler Landesregierung vor, blieben aber „ohne Konsequenz“.

Die Regierungsbeteiligung der Grünen „als Juniorpartner der SPD“, folgert Hinrichsen, habe sich weder in Schleswig-Holstein noch in Hamburg förderlich auf den ländereigenen Ausstieg ausgewirkt. Dies sei bereits „bei Vorlage der Koalitionsverträge absehbar“ gewesen: In Kiel hätten die Grünen sowohl auf das Amt des Energieministers als auch auf die Leitung der Reaktoraufsicht verzichtet, in Hamburg auf den Aufsichtsratsvorsitz bei der AKW-Betreiberin Hamburgische Electricitätswerke (HEW). Für Hinrichsen „folgenschwere Irrtümer“: Im parlamentarischen Raum, so seine Kritik, „gibt es nun keine Fraktion mehr, die den Ausstieg ernsthaft betreibt“.

Frust, mit dem Hinrichsen nicht allein dasteht. Auch der Hamburger GAL-Abgeordnete Lutz Jobs mußte sich kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung von der grünen Basis vorwerfen lassen, Wahlversprechen nicht eingelöst und zuwenig Risikobereitschaft gezeigt zu haben, was den politischen und rechtlichen Streit um die Atomkraftwerke angehe.

Nach der Ankündigung von SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder, den Atomausstieg erst in 25 Jahren und möglichst im Konsens mit den Energieversorgern bewerkstelligen zu wollen, hat Hinrichsen noch weniger Hoffnung: „Damit ist klar, daß auch für die Grünen der Atomausstieg verhandelbar sein wird, um in Bonn an die Macht zu kommen.“