Endspurt im Institutionenmarsch

■ Bündnis 90/Die Grünen debattierten im Übersee-Museum über Perspektiven der Kulturpolitik im Falle des ersehnten Wahlsieges

Vielleicht wird der Münchener Drei-Sterne-Koch Eckart Witzigmann bald an der Gesamtschule Mitte so richtig lecker was zaubern für die Fast-Food-gebeutelten Kleinen. Denn sollten Bündnis 90/Die Grünen, wie geplant, am 27. September den langen Marsch durch die Institutionen als Regierungspartei beenden, dann wird der Neueinrichtung eines Bundeskulturministeriums nichts mehr im Wege stehen. Und der von der SPD ins Spiel gebrachte designierte Amtsinhaber Michael Naumann könnte dann, ähnlich wie es sein Amtskollege Jaques Lang bereits in Frankreich vorgemacht hat, Starköche in Schulen schicken, um dort etwa mit Rehrücken an Erbsen-mousse im Sauerkrautmantel die hohe deutsche Eßkultur zu propagieren. Wieso das ein wahrscheinliches Szenario ist?

Weil Antje Vollmer, wie sie während der Wahlveranstaltung „Ein Bündnis für Kulturpolitik!“ ihrer Partei im Übersee-Museum erzählte, das ausgesprochen originell und lustig finden würde. Und damit wären die möglichen Betätigungsfelder eines Bundeskulturministers noch nicht mal ausgeschöpft. Die grüne Vizepräsidentin des Bundestages erwartet sich von einem solchen Amt zudem vor allem strategischen Nutzen im Dienste der Kulturschaffenden. Denn aufgrund der durch die föderale Struktur der BRD bedingten Vielstimmigkeit in der Kulturpolitik sei bisher eine effektive Abwehr der zunehmenden Angriffe auf die Finanzmittel der Kulturhaushalte nicht möglich gewesen. Auf Bundes- und zunehmend auch auf europäischer Ebene sei es, sagte Vollmer, daher nötig, durch die Schaffung eines eigenständigen Ministeriums der Kulturpolitik die Möglichkeit zu geben, im Ringen um Gelder, aber auch bei der Entscheidung über kulturell bedeutsame Projekte wie dem Holocaustmahnmal entscheidend eingreifen zu können.

Für Micha Brumlik, Hochschullehrer aus Heidelberg und gemeinsam mit Vollmer, der grünen Bundestagskandidatin und Ex-Kultursenatorin Helga Trüpel sowie dem Mitbegründer der Shakespeare Company Norbert Kentrup im Übersee-Museum auf dem Podium sitzend, hatte Vollmers Rede von deutscher Kultur zwar „durchaus etwas Nationalistisches“. Doch wollten weder er noch Trüpel und Kentrup verneinen, daß ein solches Ministerium der Kulturpolitik in Deutschland dienlich sein könnte – zumindest solange die politische Linke Einfluß auf die Besetzung des Postens hat ... . Und was, wenn nicht?

Darüber wollte sich von den Anwesenden dann doch lieber keiner öffentlich Gedanken machen. Stattdessen aber sehr wohl über die darüber hinaus gehenden Gründe, weshalb die grüne Partei Kulturpolitik für unentbehrlich hält. So feierte Brumlik die Kunst „als wichtigste Produktivkraft innerhalb der Gesellschaft“, die nicht nur utopisches und phantasievolles Denken und damit mittelbar wissenschaftliche Erfindungen fördere. Kunst sei ebenso ein Spiegel für das gesellschaftlich Unbewußte und somit ein wichtiger Seismograph für sich anbahnende gesellschaftliche Umbrüche. Und nicht zuletzt sei Kulturpolitik, da wußte sich Brumlik mit Trüpel und Kentrup einig, unentbehrlich, wenn es um die Bewältigung der Chancen und Probleme gehe, die mit einer multiethnischen Gesellschaft einhergehen.

Angesichts derartig vieler Übereinstimmungen von alter grüner Streitkultur also keine Spur mehr? Mitnichten. Denn als Antje Vollmer ihren Herzenswunsch kundtat und die deutschen Intellektuellen aufforderte, sich stärker politisch zu engagieren und ihre Fundamentalopposition gegen den deutschen Staat endlich zu begraben, schwoll Micha Brumliks Halsgegend kräftig an. Nicht nur war Vollmers Feststellung von der Politikferne der deutschen Intellektuellen in Brumliks Sicht historisch nicht zu belegen. KünstlerInnen hätten darüber hinaus ganz andere gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen als die, die besseren PolitikerInnen abgeben zu wollen. Etwa die Entfesselung radikalen Eigensinns, was, so Brumlik, innerhalb administrativer Fesseln bekanntlich nicht gut funktioniere. Und die Skepsis gegen das schmutzige Politikgeschäft sei, wie er den anwesenden BerufspolitikerInnen in Erinnerung rief, alles andere als unbegründet.

Eine Haltung, mit der sich Brumlik auf dem Podium jedoch keine Freunde machte. Vor nicht allzu langer Zeit noch waren in dieser Frage die Mehrheitsverhältnisse bei den Grünen ganz anders. Aber beim langen Marsch durch die Institutionen wirft so mancheR bekanntlich viel Ballast ab. Vor allem dann, wenn es auf die Zielgerade geht. zott