Schattenmänner im Rampenlicht

Seit der Gründung jagt im Verfassungsschutz ein Skandal den nächsten. Arbeitslosenvereinigungen, AL und taz jahrelang bespitzelt. Die schwerste Affäre war der Mordfall Schmücker. Die rot-grüne Regierung räumte zwar gründlich auf, aber der Fall der Mauer stoppte den Kehraus  ■ Von Otto Diederichs

„Ich bin ein Geheimagent, den zum Glück kein Schwein erkennt. Würde mich ein Schwein erkennen, wär' ich nicht geheim zu nennen.“ Dieser Spottvers hat auf die Geheimen in Berlin eigentlich nie richtig gepaßt. Ihr berufliches Leben spielt sich immer wieder im Rampenlicht der Öffentlichkeit ab. Zugegebenermaßen nicht gerade freiwillig.

1952 als eines der letzten gegründet, stand das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) schon im Jahr darauf vor seinem ersten Skandal. Ausgerechnet die Politiker des Abgeordnetenhauses hatte man unter die Lupe genommen – quer durch alle Parteien. „80 Prozent der Arbeit dieses Amtes bestehen darin, daß sich die Verfassungsschützer untereinander beschnüffelten. 15 Prozent ihrer Zeit mögen sie mit der Bespitzelung freiheitlich denkender Politiker verbracht haben und 5 Prozent mit wirklich sachlicher Tätigkeit“, wetterte der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Lemmer, selbst einer der Betroffenen. Für Gotthard Friedrich (SPD), den ersten Chef der Schlapphüte war die Dienstzeit damit beendet.

Schon ein Jahr später, 1954, richteten sich die Scheinwerfer wiederum auf das Zehlendorfer Amt, als einer ihrer V-Leute (Deckname Klang) einen Arbeitsgerichtsprozeß gegen seine Behörde anstrengte. Nebenbei kam dabei heraus, daß die Geheimen die Berliner Arbeitslosenvereinigungen ausspionierten. Es folgten weitere Partei-Affären 1969 (FDP) und 1971 (SPD). Inzwischen allerdings war Eberhard Zachmann (SPD) Leiter des LfV geworden. Wenn sich auch sonst nichts änderte, so begann unter seiner Regie doch die Zeit der großen Vertuschung. Was die Schattenmänner und -frauen fortan an Skandalen produzierten, kam erst mit jahrelanger Verzögerung ans Licht.

So dauerte es 15 Jahre, bis 1984 bekannt wurde, daß der CDU- Fraktionschef und spätere Innensenator Heinrich Lummer einer rechtsradikalen Gruppierung unter den Augen der Verfassungsschützer konspirativ Geld zugesteckt hatte. Das war 1971. Ebenfalls noch unter Zachmanns Leitung begann auch die bisher folgenschwerste Affäre des Amtes: der Mordfall Schmücker. Im Juli 1974 wurde der Student Ulrich Schmücker an der Krummen Lanke erschossen. Schmücker war V-Mann des Verfassungschutzes (Deckname Kette) mit dem Auftrag, Informationen aus einer der damaligen terroristischen Kleingruppen zu beschaffen.

An den Fememord schloß sich ein in der deutschen Rechtsgeschichte beispielloses Gerichtsverfahren an. Verschleppung durch Aktenverweigerung ist dabei einer der harmloseren Versuche des LfV, den Prozeß zu torpedieren und in seinem Sinne zu steuern. Es wurde gelogen, Beweise wurden fingiert, Verteidiger abgehört und systematisch ausgeforscht. Alles mit dem Ziel, die als Täter Präsentierten, die aufgrund von Hinweisen der Verfassungsschützer bereits kurz nach der Tat verhaftet worden waren, nun auch verurteilen zu lassen.

Ende der 80er Jahre kam der Grund für solche Anstrengungen ans Licht. „Kette“ war nicht nur V-Mann des Amtes gewesen, er war auch quasi unter den Augen von Observanten erschossen worden. Die Mordwaffe selbst hatte man noch am gleichen Abend durch einen weiteren V-Mann (Deckname Wien) erhalten. Sie verschwand im Panzerschrank. Dort blieb sie bis zum Sommer 1989. Der Prozeß um den Mordfall Schmücker wurde 1991 eingestellt, da die wirklichen Tatumstände wegen der vielfältigen Vertuschungsmanöver des Verfassungsschutzes nicht mehr aufzuklären waren. An den Nebenwirkungen des Falles laboriert das Amt noch heute.

Gegen den früheren V-Mann „Wien“ wird immer noch prozessiert, um ca. 450.000 Mark absprachewidrig verwendeten Agentenlohn zurückzuerhalten. Beinahe regelmäßig meldet auch sich der einstige V-Mann „Flach“, weil ihm das Geld ausgegangen ist. Er hatte – unter anderem – die Anwälte ausspioniert. Als VS-Chef verantwortlich für diese Vorgänge war Franz Natusch. Der hatte von Zachmann nicht nur das Amt übernommen, sondern dessen Vernebelungskünste zu einer Meisterschaft fortentwickelt, die keiner seiner Nachfolger erreichte.

Angesichts des Schmücker- Skandals wirken die weiteren Affären beinahe harmlos. Das seit Bestehen des Amtes sämtliche Laienrichter beim Verwaltungsgericht durchleuchtet wurden, wird zur Marginalie. Heraus kam dies 1980.

Helle Aufregung kam im Amt allerdings im Sommer 1982 auf. In Krefeld war es im Laufe einer Großdemonstration gegen den Besuch von US-Vizepräsident George Bush zu Ausschreitungen gekommen. Als einen „der aktivsten Gewalttäter“ nahm die Polizei dabei den Berliner Klaus Troeber fest. Der war auch der Polizei in Berlin schon als „gewalttätiger Rädelsführer“ aufgefallen. Troeber war V-Mann des Verfassungsschutzes. Mit seinen Informanten, so mag es unschuldigen Seelen erscheinen, hatte man im Berliner Landesamt nie eine besonders glückliche Hand. Die aktuelle Affäre um den mit Genehmigung von Innenstaatssekretär Kuno Böse CDU vom Amt beschäftigten V-Mann „Junior“, der sein Handwerk bei der Stasi gelernt hat, scheint dieser Meinung vordergründig recht zu geben. Doch der Eindruck täuscht, das Problem ist immanent. Mit braven Chorknaben läßt sich in der Schattenwelt der Geheimen kein Lorbeer ernten. Über kleinere Skandälchen sei deshalb gnädig hinweggesehen.

Turbulent wurde es allerdings wieder 1988, als der SPD-Abgeordnete Erich Pätzold bekanntmachte, daß man auf ihn einen Spitzel angesetzt hatte. Als stets gut informierter Kritiker der Schlapphüte hatte er sich im Amt unbeliebt gemacht. Nur zu gern wollten Innensenator Wilhelm Kewenig (CDU) und Dieter Wagner, sein oberster Geheimer, daher wissen, was der Mann alles weiß und vor allem woher. Doch Pätzold erwies sich als der geschicktere Part im Schnüffelspiel und deckte den Fall auf.

War das schon peinlich, so kam es im Jahr darauf richtig dicke für die Leute vom Amt. 1989 verlor die CDU die Abgeordnetenhauswahlen und mußte einer rot-grünen Regierung weichen. Erich Pätzold wurde Innensenator und holte sogleich zum Gegenschlag aus. Amtsleiter Wagner konnte gar nicht so schnell staunen, wie er seinen Posten verlor. Tatkräftige Unterstützung erhielt Pätzold bei seinen Aufräumarbeiten von den grünen Abgeordneten Renate Künast und Lena Schraut. Über die allgemeine politische Ablehnung von Geheimdiensten hinaus hatten auch diese beiden mit der Agententruppe ein spezielles Hühnchen zu rupfen. Flächendeckend war die Alternative Liste, wie die Bündnisgrünen damals noch hießen, ausgespäht worden. Insgesamt 65 V-Leute waren in der Partei plaziert worden. Es war wirklich ein schlechtes Jahr für die Dunkelbehörde. Zumal 1989 noch herauskam, daß die taz ebenfalls seit ihrer Gründung 1979 systematisch ausgespäht worden war.

Zunächst wurde der Verfassungsschutzausschuß eingesetzt, um fortan die Arbeit der Ränkebuben zu kontrollieren. Es folgten zwei Untersuchungsausschüsse. Einer zum Mordfall Schmücker, dessen Arbeit zur Prozeßeinstellung 1991 maßgeblich beitrug. Der zweite zu einem Spionageverdacht gegen Heinrich Lummer. Der umtriebige Lummer hatte sich in Ost- Berlin mit einer Stasi-Agentin eingelassen. Nach Gutsherrenart hatte LfV-Chef Franz Natusch den Vorgang handschriftlich geführt. Die brisanten Vermerke lagerte er jahrelang in seinem persönlichen Tresor. Doch Natusch war längst in Rente, und auch Lummer kam am Ende zwar erheblich bekleckert, aber folgenlos aus der Affäre. So ist Politik.

Schwerer zu verdauen für die Verfassungsschützer selbst war die Einsetzung einer „Projektgruppe Verfassungsschutz“ in der Innenverwaltung. Den rot-grünen Wind im Rücken, machte sie sich daran, das Amt zu durchleuchten. Bei den Exkursionen durch die Panzerschränke förderte sie neben der Schmücker-Tatwaffe gleich noch drei weitere Pistolen und reichlich Munition ans Licht. Daneben legte sie in insgesamt 12 Berichten an den Verfassungsschutzausschuß Arbeitsweisen des Amtes offen, die einem noch heute nahezu unglaublich vorkommen. Von Intrigen untereinander über Aktenvernichtung, fachlichen Dilettantismus und notorischen Bespitzelungsdrang bis hin zu gewohnheitsmäßiger Schlamperei reicht das Spektrum. Selbst über Anwälte und Geistliche fanden sich Berichte gleich stapelweise. Mit Schutz der Verfassung hatte das alles nicht das mindeste zu tun.

Der Fall der Mauer stoppte den Kehraus. Berlin erhielt wieder eine CDU-Regierung. Dem Amtsleiter Dieter Schenk war bereits der Verwaltungsbürokrat Heinz Annußek gefolgt. Als dieser 1995 das Pensionsalter erreichte, holte man Eduard Vermander aus Baden- Württemberg an die Spree. Daß die rot-grünen Reformen zurückgedreht wurden, versteht sich von selbst. Nun steht das Amt wieder vor dem Scherbenhaufen. Anderes war auch nicht zu erwarten.

„Unseren Agenten 007 können wir wohl vergessen“, endet der eingangs zitierte Cartoon. Er zeigt einen Schlapphutträger, der zum Kummer seiner Vorgesetzten im vollen Bühnenlicht fröhlich steppt. Er muß vom Berliner Amt sein.