Mutter aller Programmkinos

■ Nimm eine Garage, mach daraus ein Kino und zeig eins, zwei, drei, ganz viele tolle Filme gegen das Establishment! Das sagten sich Werner Grassmann und die Filme-macher Coop im Jahre zwei nach 68 und gründeten das Abaton. Morgen vor 25 Jahren lief zum ersten Mal ein Film über die Leinwand der . . .

taz: Herr Grassmann, was würden Sie heute einem Filmbegeisterten sagen, der in guter Lage eine Kfz-Werkstatt findet und daraus ein Kino machen möchte?

Werner Grassmann: Ich würde ihm sagen: Die Zeiten sind vorbei.

Sie selbst haben 1970 eine Garage in ein Kino, das heutige Abaton, verwandelt. Heute wäre das nicht mehr möglich?

Nein. Als wir angefangen haben, war das Jahr 1968 gerade zu Ende. Es herrschte eine Aufbruchsstimmung und eine Neugier, man glaubte, alles würde sich verbessern, alles würde neu werden. Deshalb fanden solche Underground-Kinos wie wir, die damals in Kneipen und Schützensälen und Garagen aufmachten, so ein großes Interesse und vor allem auch viel Sympathie.

Underground-Kino, das überrascht ein bißchen. Heute läßt sich das Abaton damit wohl kaum beschreiben.

Na ja, damals sprach man vom Kampf gegen das Establishment. Es hatte sich eine neue Filmkultur entwickeln können, denn es gab dafür ein Publikum. Von den Filmen von Helmut Herbst etwa sprach die ganze Stadt, und diese Filme waren sechs oder auch mal zwölf Minuten lang. Und dann gab es die Hamburger Filmemacher Coop, deren erster Sprecher ich war. Wir wollten uns darstellen, nach der Devise „Opas Kino ist tot“, und dafür, so glaubten wir, brauchten wir ein eigenes Kino. Die normalen Kinos spielten nur Sex and Crime, und mit den sogenannten Gilde-Theatern hatten wir nichts am Hut.

Gilde-Theater?

Das waren altväterliche Unternehmungen, wie der Name schon sagt, ganz normale Filmtheater, die ihr wochenweises Programm spielten, nur zeigten die eben sogenannte Filmkunst. Teilweise fanden wir das gar nicht schlecht, aber es war out of time. Cocteau-Filme von 1948 konnte man da sehen, und deren Zeit war 20 Jahre später ja irgendwie vorbei. Wir wollten jedenfalls keine Filmkunst. Wir wollten politische Filme, Avantgarde-Filme, Underground-Geschichten, aber auch zum Beispiel B-Pictures, Western zum Beispiel. Die faßte der normale Bürger damals nur mit spitzen Fingern an, heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen. Oder zum Beispiel gab es einen nach heutigen Maßstäben unglaublich harmlosen Film namens Die Satansweiber von Tittfield.

Solche Filme kamen damals nicht in die Kinos?

Nein, angeblich kämen die Leute nicht. Aber als wir die Filme spielten, kamen die Leute. Die Marx-Brüder waren bei uns ein Riesenerfolg. Und die Satansweiber haben wir drei- oder viermal gespielt, und die Leute haben sich amüsiert. Also, wir hatten anfangs ein Programm außerhalb der üblichen Kinokultur, und das hat die Branche sehr verschreckt.

Man kann also das Abaton als erstes deutsches Programmkino bezeichnen?

Ja, wir hatten wohl eine Pilotfunktion. Natürlich wußten wir nicht, daß wir das erste Programmkino waren, den Namen gab es damals noch gar nicht. Wir waren mehr das „andere Kino“, nach einem Begriff von Helmut Herbst. Und natürlich waren wir nicht die einzigen, die Neues wollten. Es gab damals im Kino-Bereich die unterschiedlichsten Versuche, nur war unser Versuch dann der, der sich durchgesetzt hat.

Wie läßt sich dieser Versuch beschreiben?

Es ging darum, ein in sich unterschiedliches Programm zu spielen, und zwar im Schienenspiel, wie das heute genannt wird. Wir hatten vier Vorstellungen täglich, wobei in jeder Vorstellung ein anderer Film gezeigt wurde.

Das war Ihre Erfindung?

So kann man es sagen. Wir sahen es so, daß die Leute immer ins Abaton gehen konnten und es immer etwas Tolles gab. Das war natürlich Theorie, in der Praxis hat es sich nicht verwirklichen lassen. Aber das war der Ursprung für das verwirrende Programm, das wir machten. Und deshalb sind wir ja, glaube ich, auch das erste Kino der Welt mir einem gedruckten Monatsprogramm. Denn wann welcher Film bei uns spielte, das begriffen die normalen Bürger gar nicht.

Sie haben von einer Aufbruchsstimmung gesprochen. Wie äußerte sich die?

Auf breiter Front ist sie eigentlich erst seit der Erfindung der Yuppies vorbei, also etwa seit 1980. Ende der 70er Jahre gab es zum Beispiel den Film Sacco und Vanzetti. Der lief viele Wochen lang und hat die Leute aufgewühlt. Kürzlich konnte man Land and Freedom sehen, der läuft eine Woche, und die Leute gehen raus und sagen: Tja, na ja, so so . . . Das Interesse an politischer Entwicklung ist, das muß man schon sagen, sehr zurückgegangen.

Und was ist aus dem „anderen Kino“ geworden?

Mit dem Eintrittskartenverkauf für das „andere Kino“ konnten wir natürlich nicht existieren, da wären wir schon nach einem halben Jahr pleite gewesen. Jeden Abend 500 Plätze vollzukriegen, das war unmöglich. Wir mußten uns also auch mit kommerzieller Ware eindecken, Marx-Brüder und so, das waren ja auch Filme, die man mit gutem Gewissen und viel Spaß zeigen konnte. Und vom dem „anderen Kino“ haben wir uns nolens volens verabschieden müssen. Heute sind wir ein kommerzieller Betrieb, machen eine teure Zeitung und haben französische Luxussessel, weil die Studenten nicht mehr auf den alten, schäbigen Stühlen sitzen wollen. Wir haben uns in den allgemeinen Trend einklinken müssen, sonst wären wir untergegangen. Ein richtiges Programmkino sind wir ja auch gar nicht mehr, sondern ein engagiertes Erstaufführungskino für engagierte Filme.

Bedauern Sie die Entwicklung?

Natürlich. Deswegen bauen wir ja auch – hier im ersten Stock – ein drittes Kino. Das verschafft uns hoffentlich wieder Luft. Es gibt so viele interessante Filme aus Rußland, aus China, aus Australien, die wir im Moment nicht spielen können, weil wir dafür keine Leinwand haben. Und Land and Freedom hätten wir in einem kleineren Saal noch zwei Wochen länger spielen können, ohne gleich kommerzielle Bauchschmerzen zu kriegen.

Nicht nur die Aufbruchsstimmung hat sich geändert. Das Abaton hat inzwischen auch seine Sonderstellung verloren.

Natürlich, klar. Es gibt mittlerweile fünf oder sechs Programmkinos. Ich sehe das aber gar nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung. Sehen Sie: Zuerst haben wir hier nur Schmalzbrote und Bier verkauft. Bis uns eines Tages, Mitte 1971, ein chilenischer Exilant, Joel Romo, das Pizzabacken gelehrt hat. Seitdem gibt es also die Abaton-Pizzas. Kaum hatten wir damit angefangen, da machte gegenüber das „Hindukusch“ auf. Was haben wir geschimpft: Gerade jetzt, Konkurrenz vor der eigenen Nase! Aber Joel Romo hat gesagt: Das sehen Sie ganz falsch. Da muß nicht nur eine Kneipe hin, da müssen ganz viele sein. Dann entsteht hier eine Szene. Und so ist das mit den Kinos auch. Die Cinemaxxe, die nach Hamburg kommen werden, sind allerdings ein anderes Thema.

Es gab rund um das Abaton früher keine Kneipen?

Das war völlig tot! Im September 1970 etwa kamen die ganzen Münchner zur Filmschau nach Hamburg, also Kluge, Hauff, Schlöndorff, Herzog, Wenders, wie sie alle heißen. Wir von der Filmemacher Coop hatten das Audimax gemietet, und um halb zehn war dann die letzte Vorführung zu Ende. Dann wollten wir noch ein Bier trinken gehen. Nichts. Keine einzige Kneipe. Wo heute das „Arkadash“ steht, da gab es eine Studentenkneipe, aber die machte um sechs Uhr zu, man hält es nicht für möglich. Schließlich fanden wir eine Pantoffelkneipe, wo die Nachbarn abends ihr Bier und ihren Korn tranken. Da ging dann also die Creme des Jungen Deutschen Films hin und trank ein Bier. Sonst gab es hier nichts. Das hat sich erst mit dem Abaton geändert.

Und heute? Gehen Sie immer noch gerne ins Kino?

Ja. Aber ich bin sehr kritisch geworden. Ich bin inzwischen schon ein bißchen älter und beginne, meine Lebenszeit einzuteilen. Zudem habe ich wieder angefangen, Filme zu produzieren, und bin da auch sehr engagiert. Darum sind viele Abende verplant. Aber es gibt immer noch genug Filme, die mich erfreuen. Als normaler Kinogänger hätte ich keine Probleme, zweimal die Woche ins Kino zu gehen.

Erklären Sie noch, woher der Name Abaton kommt?

Den haben wir uns ausgedacht. Wir hatten kein Geld und wollten, weil wir ja gegen das System waren, auch gar keine Anzeigen schalten. Da haben wir uns gesagt: Dann müssen wir aber in den Kinoprogrammen wenigstens immer an erster Stelle stehen. Deswegen das A als erster Buchstabe. Zwei A geht nicht, dafür brauchten wir dann aber gleich ein B und danach sofort wieder ein A. Daher kommt die Silbe Aba. Dann muß der Name phonetisch gut ausklingen, schließlich waren wir bei Abalon, aber da sagte jemand, das sei ein chinesisches Gemüse, also haben wir eben Abaton genommen. Eigentlich bezeichnet dieses Wort den heiligsten Bezirk eines Tempels, in den nur Eingeweihte gehen. Das fanden wir damals ganz komisch, und wir haben uns gefragt, ob das wohl ein Journalist merkt. Es hat aber kein Mensch gemerkt.

Fragen: Dirk Knipphals

Am Donnerstag, den 2. November, findet im Abaton eine große Geburtstagsveranstaltung statt.