Noch immer jeder zweite Baum krank

■ „Stabilisierung“: Umweltsenator Vahrenholt stellt Waldschadensbilanz 1995 vor

„Stabilisierung“ nennt es Umweltsenator Fritz Vahrenholt. Der Tatsache, daß sich an Hamburgs krankem Wald eigentlich nichts geändert hat, konnte Umweltoptimist Vahrenholt (SPD) gestern bei der Waldschadensbilanz für 1995 noch Positives abgewinnen. Tatsächlich ist der Anteil der schwerbeschädigten Bäume (Schadstufe 3 und 4) laut Umweltbehörde auf unter zwei Prozent gerutscht (1994: 2,1, 1995: 1,7), dennoch aber ist immer noch jeder zweite Baum krank. Die Zahl der gesunden Bäume (Schadstufe 0) ist sogar noch weiter gesunken: von 47,9 im Jahr 1994 auf 45,7 in diesem Jahr.

Seit den Erfolgen Ende der 80er Jahre – der gesunde Waldanteil hat sich seit 1985 fast verdreifacht – stagniert die Situation seit 1989. Zwar habe die Verschmutzung durch den Autoverkehr seit der Einführung des Katalysators abgenommen; auch die industriellen Gifte hätten sich vor allem durch die Entschwefelung der Kraftwerke verringert, sagte Vahrenholt. Trotzdem ist die Zahl der gesunden Bäume seit 1992 um vier Prozent gesunken.

Als Ursache nennt Vahrenholt unter anderem das Klima der vergangenen Jahre – sehr trockene Sommer und sehr nasse Winter. Auch andere Krankmacher sucht der Senator nicht in seinem Revier, sondern bei den Nachbarn: Die Intensivlandwirtschaft und Massentierhaltung in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. „Durch den Südwest-Wind kommt die ganze Gülle aus Niedersachsen immer hier rüber geweht“, beklagte sich Vahrenholt und will das alte Thema jetzt auch in der Umweltministerkonferenz diskutieren. Der verdampfende Teil der Gülle und auch künstlicher Dünger legt sich in Form von saurem Regen über Hamburgs Bäume. Hauptproblem ist der Stickstoff, wobei der schädliche Ammoniumanteil laut Umweltbehörde zu 85 Prozent aus den Nachbarländern komme. Die Folgen der wandernden Gifte seien so stark, als bekäme der Wald alle vier Jahre eine Volldüngung, was gut für einen Rübenacker, aber fatal für Wald und Moor sei. Eine Volldüngung bedeutet mehr als hundert Kilogramm Dünger pro Hektar. Das führt zu einem Nährstoffungleichgewicht und zur Übersäuerung des Waldes.

Acht Millionen Mark gibt die Stadt pro Jahr für den Erhalt und die Pflege ihres Waldes aus, der mit seinen 5000 Hektar knapp 6 Prozent des deutschen Waldes ausmacht. 1,5 Millionen verdient sie daran – zum Beispiel rund 300.000 Mark durch den Verkauf von Weihnachtsbäumen.

Polly Schmincke