„Wir sind doch keine Vögel“

Vegan, vegetarisch oder fleischig: Bei fleischloser Kost scheiden sich die Geister. Selbst Körner und Honig sind manchmal tabu  ■ Von Eva Wolfangel

„Vegetarier sehen mißmutig und hungrig aus, sitzen da, kauen auf ihren Körnern und wissen nicht, was sie tun.“ Wer hier vom Leder zieht, ist mitnichten eingefleischter Fleischliebhaber. Im Gegenteil: Gerd Speer ist Veganer; das heißt, er verzichtet generell auf Produkte von Tieren. Und weil der „diplomierte Gesundheitspraktiker“ eine eigene Auffassung von natürlichem Leben und Gesundheit hat, sind für ihn auch Kochen, Körneressen und das Würzen mit Salz tabu. „Wir sind das einzige Lebewesen, das seine Nahrung kocht“, sagt Speer. „Das kann nicht natürlich sein.“ Von Haus aus seien Menschen sowieso eigentlich „Frugivoren“, also Früchteesser, und hauptsächlich rohes Obst steht deshalb auf dem Speerschen Speiseplan. Vom Körneressen hat er Hämorrhoiden bekommen. Ist ja auch kein Wunder: „Wir sind doch keine Vögel!“

Da kann Reinhard Heinzels nur heftig nicken. Auch der Fachlehrer an der Ersten Norddeutschen Fleischerfachschule hat kein Verständnis für die vegetarische Lebensweise: „Ich esse jeden Tag Fleisch und Wurst und bin kerngesund.“ Tierische Eiweiße seien nicht durch andere zu ersetzen, außerdem enthalte das Fleisch wichtige Mineralstoffe und Vitamine.

Trotzdem geht der Fleischkonsum der Bundesbürger zurück, er sank zwischen 1990 und 1997 von rund 66 Kilo auf 60 Kilo pro Jahr und Kopf. Vollwerternährung mit mehr Gemüse tritt zunehmend in den Vordergrund, immer mehr vegetarische Restaurants und Imbisse öffnen. Selbst Fleischermeister Heiner Fricke, Bioland-Schlachter in Niendorf, empfiehlt, Fleisch nur zweimal die Woche zu essen. Sein Betrieb beliefert Hamburger Firmen-Kantinen, und auch dort stünden zunehmend vegetarische Gerichte auf der Speisekarte, es gebe sogar komplett fleischlose Tage.

Ingeborg Widera, Ernährungsberaterin bei der Hamburger AOK, hat gegen vegetarische Ernährung nichts einzuwenden, solange „es sich um Ovolacto-Vegetarier handelt“, also um solche, die Eier und Milch nicht ablehnen. Die Stoffe aus Fleisch und Fisch, die der menschliche Körper braucht, fänden sich auch in Gemüse, Eiern und Milch. Nüsse lieferten Zink und Calcium; das in Fleisch reichlich vorhandene Eisen lasse sich durch eine Kombination von Getreide, vor allem Hirse, Haferflocken, Grünkern und Gemüse ersetzen, auch Hülsenfrüchte seien zu empfehlen. Weil pflanzliches Eisen vom Körper jedoch nicht so gut aufgenommen werde wie tierisches, sei es wichtig, genug Vitamin C zu sich zu nehmen. „Zum Beispiel, indem man ein Glas Orangensaft zum Mittagessen trinkt.“ Bei VeganerInnen, befürchtet die Ernährungsberaterin, könnte es zu einer Unterversorgung mit Eisen und Calcium kommen. Deshalb rät sie von veganer Ernährung ab, insbesondere für Kinder und Jugendliche sei sie nicht zu empfehlen.

Nicht nur gesundheitliche Gründe sind für VegetarierInnen und VeganerInnen von Bedeutung, sondern vielfach auch moralische. „Dieses ganze Morden“ hält Angelika J. vom Bundesverband der Tierbefreier vom Fleischessen ab. Selbst wenn sie Mangelerscheinungen bekäme, würde sie nie wieder damit anfangen. Auch Gerd Speer weist auf die „unsäglichen Qualen der Nutztiere“ hin. So ißt er auch keinen Honig, denn „da nimmt man den lieben kleinen Tierchen ihre Nahrung weg“.