Lifestyle und Umsturz

Es ist alles anders geworden, als es 1968 gedacht war. Der Student, der in der Hamburger Uni das Transparent „Unter den Talaren: der Muff von 1000 Jahren“ trug, ist heute Staatsrat in der Kulturbehörde, und die Utopien der Zeit sind längst museumsreif. „Popschock 68 – Design, Träume und Schäume“ heißt eine aus Düsseldorf und Frankfurt übernommene, hier stark veränderte und den Sammlungsstärken des Museums für Kunst und Gewerbe angepaßte große Schau im Museum für Kunst und Gewerbe.

Von Hippietum, Rebellion und großem Aufbruch aus der großen Koalition blieben nach Brandt und Schmidt bis zur Kohlrepublik nur noch die materiellen Werte. Und so suchen denn die Relikte der Zeit vor 30 Jahren neue Freunde unter der nachgewachsenen Generation: Poster und Platten, Underground-Presse und Comic-Bücher, Design und Mode. 500 Objekte wurden versammelt, von raren Handdruckplakaten aus dem Pariser Mai zu aufblasbaren Möbeln, von Paco Rabannes Cocktailkleid aus Aluminiumplatten zum berühmten SDS-Plakat mit den Köpfen von Marx, Engels, Lenin: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“ Der Kontext wird in Multivision und über alte Polizeivideos geboten.

Ein besonderer Spaß ist die Versammlung etlicher alter Puppenstuben, die die ordentliche Welt zeigen, in der „die 68er“ aufgewachsen sind, bevor sie nackt die Regenbogen herunterrutschten und Barbarella oder der Kommune 1 folgten oder in gräßlich brauner Cordkleidung mit Eiffe, dem Bären und dem großen Steuermann Mao „Springer“ zu enteignen versuchten. Derweil ließ Der Spiegel sein Kasino von Verner Panton in schrillen Farben gestalten: Die Einrichtung steht heute unter Denkmalschutz, und der dänische Pop-Designer ist gerade letzte Woche verstorben.

Auch ohne besonders politisch engagiert zu sein, mit Lippensofas und Kaktuskleiderständern, mit Baseballhandschuhcouch und Sitzsack sowie den knallbunten Kunststoffen änderte sich das Lebensumfeld, manches von diesem Design wird heute wieder neu aufgelegt. Doch sei es ausgleichende Gerechtigkeit, mediale Gleichmacherei oder postirgendwasmäßige Zurichtung für ein kommerzielles Revival der oberflächlichen Form: Das mit rotem Samtvorhang gerahmte Foto des Bundespräsidentenpaares Wilhelmine und Heinrich Lübke am Tadsch Mahal und das Demobild samt davor ausgekipptem rotem Farbeimer wirken inzwischen gleichermaßen angestaubt, und leider reden alle eben doch wieder vom Wetter. Allerdings: Trotz mancher Naivität und erlebtem Scheitern scheint inmitten von soviel einstiger Zukunftshoffnung eine neue Dynamik nach dem 27. September zwingend – auch wenn es hier im Museum eigentlich nur um Gestaltungsfragen geht.

Museum für Kunst und Gewerbe, bis 8. November. Katalogbuch „Design und Alltagskultur zwischen Konsum und Konflikt“, 232 S., Verlag DuMont, 49,80 Mark