„Ein Wunschkind“

■ Mord-Prozeß: Vater sagt aus

Als die Richterin die Lichtbildmappe der Polizei durchblättert, verliert die Angeklagte, die sich wegen Mordes an ihrer elfjährigen Tochter vor dem Landgericht verantworten muß, die Fassung. Weinend bricht sie zusammen. Die Referendarin ihrer Anwältin nimmt die Frau in den Arm und führt sie aus dem Gerichtssaal. Der Vater des Kindes schmeißt seinen Kugelschreiber vor sich auf den Tisch, wendet sich ab und verschränkt die Arme wie einen Schutzwall vor der Brust.

Als die Verhandlung etwa eine halbe Stunde später fortgesetzt wird, steht der 45jährige Mann im Zeugenstand. Mit beiden Händen umklammert er ein Schulheft, in dem er sich die wichtigsten Daten notiert hat. Im Oktober 1985 hat er die Angeklagte geheiratet, im August 1986 wurde das gemeinsame Kind Dina geboren. 1991 trennt sich das Paar, 1993 wird es geschieden. Von seinem Aussageverweigerungsrecht macht der Zeuge keinen Gebrauch. „Ich will aussagen“, sagt er mit fester Stimme. Kurz darauf bricht er in Tränen aus. „Dina war ein Wunschkind“, schluchzt er. Seine geschiedene Frau würdigt er keines Blickes. Wenn er über sie spricht, sagt der Zeuge nicht „meine Ex-Frau“, sondern „Frau B.“ oder „die Angeklagte“. Nach der Scheidung habe er auf das Sorgerecht verzichtet, weil er geglaubt habe, daß sein Kind bei der Mutter „sehr behütet“ aufwachsen würde. Er habe seine Tochter jedoch regelmäßig besucht und ein „sehr gutes“ Verhältnis zu ihr gehabt. Daß seine geschiedene Frau das Kind geliebt habe, glaube er im Nachhinein nicht mehr. Sie habe das Kind regelrecht „abgeschlachtet“. „Wenn man einen Menschen liebt, kann man ihn nicht so umbringen.“ Wie berichtet, hat die geständige Angeklagte ihre Tochter mit zehn Messerstichen schwer verletzt und sie anschließend erhängt. Das Reisebüro der Frau war pleite, sie hatte 150.000 Mark Schulden. Als Motiv hatte sie angegeben, daß sie ihrem Kind ein Leben in Armut ersparen wollte (taz 8.9.).

Er habe keinen Verdacht geschöpft, daß irgendetwas nicht stimmen würde, sagt der Zeuge. Gleichwohl hätte seine geschiedene Frau einmal zu ihm gesagt: „Ohne Dina könnte ich ein anderes Leben führen.“ Er habe dieser Bemerkung seinerzeit allerdings keine Bedeutung beigemessen. Auch von ihren finanziellen Sorgen habe seine geschiedene Frau, mit der er bis vor der Tat „sehr gut befreundet“ gewesen sei, nichts erzählt. Um ihr die Eröffnung des Reisebüros zu ermöglichen, hatte der Zeuge, der damals schon von der Angeklagten geschieden war, eine Grundschuld von 45.000 Mark auf sein Haus eintragen lassen.

Die Kripo-Beamten, die die Frau unmittelbar nach der Tat vernommen hatten, beschrieben sie gestern vor Gericht als „kalt“, „berechnend“ und „völlig emotionslos“. Dieses „völlig neue Täterverhalten“ hätte sie „überrascht“, sagten die drei Beamten übereinstimmend. Ein Kripo-Mann: „Es ist mir heute noch unbegreiflich, daß keine Träne geflossen ist“.

Kerstin Schneider