„Das will der Leser wissen“

■ Die Einführung in den Lokaljournalismus / 10. Lektion: Zielgruppenorientierung

Wenn Sie alle Lektionen unserer arbeitsmarktpolitisch wertvollen Lebenshilfe aufmerksam studiert haben, steht der erfolgreichen Entfaltung Ihres neu entdeckten lokaljournalistischen Talents scheinbar nichts mehr im Wege. Allein: Das reicht noch nicht. Sie müssen auch lernen, aus Kot Gold zu machen. Will sagen: Es muß Ihnen gelingen, Texte prominent zu plazieren, die nicht den geringsten Informationsgehalt besitzen und dennoch die begeisterte Zustimmung der Redaktion erhalten.

Angenommen, Ihre umwerfend charmante Chefredakteurin drückt Ihnen Ahnungslosem frühmorgens einen Zettel in die Hand mit den Worten: „Da gehst Du heute hin.“ Voller Vorfreude lesen Sie die Pressemitteilung. Doch schon nach dem ersten Satz fallen Ihnen unweigerlich die Augen zu. Ihre charmante Chefredakteurin hat das vorausgesehen – auch wegen dieser hellseherischen Begabung bekleidet sie diese Funktion völlig zu Recht – und weckt Sie, noch ehe Ihr Schlaf komatöse Dimensionen annehmen kann.

Mißmutig traben Sie los. Ein bekannter Parteivorsitzender will mit dem Fahrrad durch Bremen radeln und glaubt tatsächlich, daß diese an Bedeutung nicht mehr zu unterbietende Aktion irgend jemanden auf diesem Erdball interessiert. Am Startpunkt angekommen, blubbert Sie der Mann auch gleich mit nichtssagenden verkehrspolitischen Statements zu. Sie schlafen natürlich prompt wieder ein. Und träumen: Von aufregenden Mountainbikeverfolgungsrennen, wilden politischen Redescharmützeln, an deren Ende der Parteivorsitzende auf den Schultern des enthusiasmierten Volkes Bremen zur autofreien Stadt erklärt.

In der Redaktionskonferenz berichten Sie ausladend und detailversessen von Ihren Eindrücken. Daß Sie alles nur geträumt haben, halten Sie für derart nebensächlich, daß Sie das in Ihrem Bericht gar nicht erst erwähnen. Jeden Zweifel an der Wahrhaftigkeit Ihrer Schilderung, jeden ungläubigen Zwischenruf Ihrer KollegInnen bügeln Sie mit dem in der heutigen Lektion zu erlernenden wichtigen Satz „Das will der Leser wissen“ ab. Selbst der kritischste Ihrer Kollegen wird postwendend verstummen, weil auch er weiß, daß das Interesse des Lesers für einen guten Journalisten heilig und deshalb immun ist gegen jeden noch so naheliegenden Einwand.

Den Satz „Das will der Leser wissen“ sollten Sie dabei nicht inflationär einsetzen. Gleich zum Auftakt Ihres Redebeitrages brüllen Sie ihn einmal kurz und prägnant in die bis dato gelangweilt dreinschauende Runde, um ihn anschließend immer dann, wenn das Interesse an Ihren Ausführungen nachzulassen droht, gezielt einzustreuen. Am Ende haben Sie alle potentiellen ZweiflerInnen in Grund und Boden geredet. Niemand weiß mehr, worum es inhaltlich eigentlich ging. Aber in Erinnerung bleibt der Satz „Das will der Leser wissen“, so daß Ihnen ohne weiteres zwei Seiten und der Kommentarplatz freigeräumt werden.

Der euphorische Parteivorsitzende ruft Sie gleich am nächsten Tag an, gratuliert Ihnen zu Ihrer „also wirklich außerordentlich flotten Schreibe“ und betont, daß Sie sein gewaltiges gesellschaftspolitisches Anliegen „aber sowas von auf den Punkt gebracht haben“, daß er es selber kaum wieder erkannt hat. Es kommt, wie es kommen muß: Als wenig später die Stelle des Pressereferenten seiner Partei neu zu besetzen ist, erinnert sich der radelnde Parteivorsitzende sofort an Sie. Sie haben schließlich einen neuen Job – und versenden bald schon Pressemitteilungen, in denen Sie charmanten Chefredakteurinnen mitteilen, daß Ihr neuer Arbeitgeber z.B. demonstrativ einen Tag gewichtig vor die Wand starrt und zu diesem Megaereignis die Presse herzlich einlädt. Und die Chefredakteurin macht sich freudig lächelnd wieder auf die Suche ... zott

Die nächste Folge macht Sie mit PressesprecherInnen vertraut