VW-Opfer bekommen Geld

Der Konzern will „humanitäre Hilfe“ für Zwangsarbeiter leisten  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) – Humanitäre Hilfsleistungen, keineswegs formelle Entschädigungen will die Volkswagen AG jetzt an die Zwangsarbeiter zahlen, die während der Nazizeit bis 1945 bei der Volkswagen-Gesellschaft arbeiten mußten. Nach einer Aufsichtsratssitzung in Wolfsburg gab der Automobilkonzern gestern die unverzügliche Gründung eines „Hilfsfonds für humanitäre Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter“ bekannt.

Der Fonds soll mit einem Budget von 20 Millionen Mark ausgestattet werden. In den Augen von VW ist er damit „gemäß unserem Kenntnisstand hinreichend dotiert“. Etwa 17.000 Menschen, von denen so lange nach Kriegsende nur noch 2.000 am Leben sind, haben nach Angaben des Konzerns zwischen 1941 und 1945 im VW- Werk in Wolfsburg und in ausgelagerten Betriebsteilen Zwangsarbeit leisten müssen.

Angesichts des Drucks der anhängigen Klagen von Zwangsarbeitern soll der Hilfsfonds ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende nun „mit sofortiger Wirkung eingerichtet“ werden und eine „unbürokratische und zügige Zuwendung der Mittel gewährleisten“. Die administrativen Aufgaben des Hilfsfonds soll im Auftrag von VW die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG Deutsche Treuhandgesellschaft wahrnehmen.

Über den Umfang der individuellen Leistungen an einzelne ehemalige Zwangsarbeiter wird nach Angaben des Automobilkonzerns „ein Kuratorium von namhaften Persönlichkeiten entscheiden“.

Volkswagen stellte gestern erneut jede rechtliche Verpflichtung zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter ausdrücklich in Abrede. Die unmenschlichen Zwangsmaßnahmen der NS-Diktatur hätten durch die weitgehenden Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland nicht ungeschehen gemacht werden können.

„Obwohl die Volkswagen AG rechtlich nicht verpflichtet ist, fühlen wir uns moralisch aufgefordert, unseren humanitären Beitrag weiterhin zu leisten“, heißt es in der gestrigen Erklärung von VW. Den ehemaligen Zwangsarbeitern sollten die Zahlungen aus dem Hilfsfonds „einen Beitrag zur Gestaltung der Lebensführung im erreichten hohen Alter erbringen“.

Der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski, der für den größten Anteilseigner, das Land Niedersachsen, an der gestrigen VW-Aufsichtsratssitzung teilnahm, forderte andere deutsche Industrieunternehmen auf, dem Beispiel von VW zu Folgen. Die Entschädigung von Zwangsarbeiten sei kein spezielles Problem von Volkswagen, sagte der SPD-Politiker. Volkswagen sei mit der Gründung seines Hilfsfonds zwar in Vorleistung gegangen, die Gründung eines gemeinsamen Entschädigungsfonds der deutschen Industrie sei aber weiterhin notwendig.

Schon vor der Entscheidung von VW über den humanitären Hilfsfonds hatte der US-Anwalt Edward Fagan die Auffassung vertreten, daß eine Sammelklage der Opfer der Zwangsarbeit durch die Fonds-Gründung keineswegs überflüssig werde. Auch in der Schweiz seien trotz der Einrichtung eines Privatfonds nach Sammelklagen noch einmal erhebliche Summen gezahlt worden, meinte Fagan.

Bei der Volkswagengesellschaft, die während des Nationalsozialismus ihr Wolfsburger Stammwerk als NS-Rüstungsbetrieb aufbaute, waren zwischen 1941 und 1945 in der Mehrzahl ausländische Arbeitskräfte beschäftigt.