Iran droht den Taliban wegen Diplomatenmords

■ Irans Ex-Präsident Rafsandschani kündigt einen Vergeltungsschlag an. Iranische Flugzeuge landen in Zentralafghanistan. Taliban rücken auf das Hauptquartier der schiitischen Wahdat-Partei vor. D

Berlin (taz) – Die gestrige Landung iranischer Flugzeuge in Zentralafghanistan ist nicht der militärische Einmarsch Teherans, den besonders die USA in letzter Zeit schon mehrfach befürchteten. Teheran beliefert auf diesem Wege offensichtlich seine afghanischen Verbündeten, die schiitische Wahdat-Partei, mit Militärmaterial, um die Eroberung ihres Hauptquartiers Bamian durch die Taliban zu verhindern.

Die Ängste vor einer möglichen Invasion hatten gestern Äußerungen des früheren iranischen Staatspräsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani genährt, sein Land werde sich für den Tod von neun Diplomaten in Afghanistan rächen. In einer Predigt, die vom Staatsfernsehen übertragen wurde, sagte der muslimische Geistliche gestern in Teheran, Iran werde für das Blut der Opfer Rache nehmen. Er sagte allerdings auch, es werde „keine überstürzte Entscheidung“ geben. Iran behalte sich jedoch das Recht vor, das Gesetz, seine Bürger und das unterdrückte Volk Afghanistans zu schützen.

Sein Nachfolger, Mohammad Chatami, hatte schon einen Tag zuvor erklärt, sein Land strebe eine friedliche Lösung an, aber die USA sollten sich auch nicht in die regionalen Angelegenheiten einmischen. Irans Armeestabschef, General Ali Schahbasi, kündigte unterdessen neue Manöver an der Grenze zum Nachbarstaat Afghanistan an.

Die Diplomaten waren zusammen mit einem weiteren Kollegen und einem Journalisten im August nach der Eroberung der nordafghanischen Stadt Mazar-e Scharif von den Taliban entführt worden. Die Taliban hatten seither ein Verwirrspiel um den Verbleib der Geiseln inszeniert. Erst als Teheran in der vorigen Woche an der Grenze zu Afghanistan 70.000 Soldaten und Revolutionswächter zu einem Großmanöver zusammenzog und Militärschläge androhte, lenkten die Taliban ein. Am vergangenen Donnerstag bestätigten sie, daß neun Vermißte getötet worden seien.

Taliban-Chef Mullah Muhammad Omar sagte gestern, unbekannte Taliban-Soldaten hätten dies „wissentlich oder versehentlich“ getan, aber „aus eigenem Antrieb“ gehandelt. Er bedauere den Zwischenfall. Der Taliban-Botschafter in Pakistan, Maulawi Said- ur-Rahman, hatte noch am Vortag Gegner der Miliz für den Mord verantwortlich gemacht. Irans Revolutionsführer, Ali Chamenei, ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Er verlangte gleichzeitig von den Taliban, die etwa 70 weiteren von ihnen festgehaltenen Iraner freizulassen und die Leichen der Diplomaten unverzüglich in den Iran zu überführen.

Der UNO-Sicherheitsrat verurteilte die Bluttat und forderte die Bestrafung der Täter. Zugleich forderte das Gremium am Donnerstag in New York beide Konfliktparteien zu größter Zurückhaltung auf. Der Iran hatte die Ermordung der Diplomaten in einem Schreiben an den UNO-Sicherheitsrat als Kriegsverbrechen bezeichnet und umgehend Schritte der UN gegen die Taliban gefordert.

Den neuen Vormarsch der Taliban in Zentralafghanistan hatte der Seitenwechsel mehrerer Wahdat-Kommandeure im Distrikt Saighan ermöglicht, meldete am Donnerstag die in Pakistan ansässige afghanische Nachrichtenagentur AIP. Dadurch konnten sich die von Pakistan und Saudi-Arabien unterstützten Ultra-Islamisten Bamian bis auf zehn Kilometer nähern. Jetzt werde um den strategisch wichtigen Shibar-Paß östlich von Bamian gekämpft, der letzten Hürde auf dem Weg in die Provinzhauptstadt.

Dabei seien 18 Wahdat-Soldaten getötet und 48 weitere gefangen genommen worden. Aber auch ein Provinzgouverneur der Taliban kam ums Leben, als er die neueroberten Gebiete besichtigen wollte. Verliert die Wahdat-Partei die Stadt Bamian mit ihrem Flughafen, könnte sie nicht mehr direkt vom Iran aus versorgt werden. Das wäre ein weiterer harter Rückschlag für die Anti-Taliban-Allianz, die im August bereits ihr Hauptquartier Mazar-e Scharif verlor. Thomas Ruttig