Chaos, Tricks und Rechtsverstöße

Interner Prüfbericht stellt der Arbeits- und Sozialbehörde und ihrem Beschäftigungsträger Hamburger Arbeit (HAB) ein vernichtendes Zeugnis aus  ■ Von Florian Marten

Auf den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß Filz wartet knochenharte Arbeit. Noch hat sich der PUA an seine Hauptaufgabe, die Untersuchung der Subventionspraxis der Sozialbehörde (BAGS) gegenüber ihrem größten Beschäftigungsträger Hamburger Arbeit (HAB), nicht herangewagt. Das dürfte sich jetzt ändern. Der „streng vertrauliche“ Prüfbericht einer internen Arbeitsgruppe der BAGS vom 1. Juli 1998, der der taz vorliegt, enthält nämlich pures politisches Dynamit.

Die wesentlichen Befunde lauten:

– Mit Zustimmung des früheren Sozialsenators Ortwin Runde und seiner Amtsnachfolgerin Helgrit Fischer-Menzel (beide SPD) haben BAGS und HAB gegen die Landeshaushaltsordnung und ein schriftliches Nein der Finanzbehörde verstoßen.

– Die HAB hat jahrelang mit unzulässigen Bilanz- und Haushaltstricks gegen den Widerstand der zuständigen BAGS-Abteilung mehr Geld erhalten, als ihr tatsächlich zustand.

– Die zuständige BAGS-Abteilung war hoffnungslos überfordert, „Hilferufe der Sachbearbeiterebene“ nach personeller Verstärkung wurden nicht erhört; sie zahlte zumeist brav, verweigerte aber immerhin die Erteilung rechtsgültiger Zuwendungsbescheide.

– Dieser rechtlose Zustand bei einem der größten Subventionsempfänger der Hansestadt wurde vom ehemaligen HAB-Chef Uwe Riez mit einer Anerkennung der meisten HAB-Forderungen beendet, nachdem er in der BAGS Amtsleiter geworden war.

Dennoch gelang es der neuen Sozialsenatorin Karin Roth (auch SPD), diese brisanten Details der internen Analyse auf einer ersten Pressekonferenz am 7. Juli in eine Entlastungsoffensive für den belasteten Riez umzumünzen. In einer dreiseitigen Presseerklärung wurde in einer geschickten Mischung aus Schuldzugeständnissen („Verfahrensfehler und Versäumnis werden eingeräumt“), Weglassungen und einseitigen Schlußfolgerungen die Botschaft des fünfzigseitigen Prüfberichts an zentralen Punkten entscheidend verwässert oder verschleiert.

Daran sind die HAB-Prüfer freilich nicht ganz unschuldig. Während ihr Bericht die Fakten sauber präsentiert, bemühen sich die eingestreuten Schlußfolgerungen um eine konsequente Weißwäsche: Während Riez, die HAB und die aufsichtsführenden SenatorInnen möglichst entlastet werden sollen, wird alle Schuld auf das Amt Soziales und Rehabilitation geschoben, das bis zum 1. September 1996 für die HAB zuständig war.

Tatsächlich ging es in der zuständigen BAGS-Abteilung drunter und drüber: „Dem Zuwendungsreferat“, so notieren die Prüfer, „stand betriebswirtschaftliches Grundwissen und praktische Erfahrung für die zuwendungsrechtliche Beurteilung der komplexen Fragen über Jahre nicht zur Verfügung“. Das Ergebnis kann nicht verwundern: „In diesem Kompetenz- und Entscheidungsvakuum“ gelang es HAB-Chef Uwe Riez, dafür zu sorgen, daß „die betrieblichen Interessen der HAB weitgehend berücksichtigt wurden“.

Dabei stellte die HAB mit schöner Regelmäßigkeit Wirtschaftspläne auf, die weder durch die Haushaltspläne noch durch Zuwendungsbescheide der BAGS gedeckt waren. Das überforderte Zuwendungsreferat zahlte zwar meist brav, leistete aber dennoch Widerstand, indem es während Riez' Amtszeit für kein einziges Haushaltsjahr einen abschließenden und rechtsgültigen Zuwendungsbescheid erteilte. Riez konterte, indem er gegen alle vorläufigen Bescheide Widerspruch einlegte.

Kaum war Riez am 15.2.1995 vom HAB-Chef zum Amtsleiter in der Sozialbehörde mutiert, änderte sich das Behördenverhalten grundlegend:

– Am 2. August 1995 erkennt die BAGS eine strittige Drei-Millionen-Mark-Forderung der HAB an.

– Im Januar 1996 befördert Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel Riez zum Senatsdirektor (12.000 statt 9000 Mark Monatsgehalt).

– Am 12. April 1996 verzichtet die BAGS gegenüber der HAB auf die Rückzahlung von 1,8 Millionen Mark aus unverbrauchten Abschreibungen.

– Am 13. August 1996 fließen zusätzliche 2,8 Millionen Mark rückwirkend für das Jahr 1994 an die HAB.

– Am 1. September 1996 wandert die Zuständigkeit für die HAB innerhalb der BAGS vom Landessozialamt zu Riez.

– Am 17. Dezember 1996 ergeht auf Veranlassung von Riez ein abschließender Sammelbescheid über 260 Millionen Mark für die Jahre 1991 bis 1995, darunter auch für eine Altforderung von 1,3 Millionen Mark aus dem Jahr 1991.

Karin Roth, seit April dieses Jahres Amtsnachfolgerin der über Filzvorwürfe gestolperten Fischer-Menzel, und ihre Prüfer folgern aus diesen unbestrittenen Fakten messerscharf: „Es gibt keine Anhaltspunkte für Mißwirtschaft und Millionendefizite.“ Diese gewagte These stützt sich auf zwei Argumente: Erstens war die BAGS schuld, weil sie letztendlich ja gezahlt hat. Und zweitens war überhaupt alles in Ordnung, weil die Wirtschaftsprüfer die Jahresabschlüsse der HAB GmbH jedesmal gebilligt haben.

Leider haben die Wirtschaftsprüfer aber nicht nach Zuwen-dungsrecht geprüft, sondern nur nach Handelsrecht. Die gesamten Rechtsverstöße und damit auch die regelmäßigen strittigen Fehlbedarfe in mehrfacher Millionenhöhe der HAB liegen aber im Bereich des Zuwendungsrechts.

Insider der Verhältnisse bei BAGS und HAB haben eine ganz andere, weit plausiblere Interpretation: Mit Rückendeckung durch die SenatorInnen Runde und Fischer-Menzel durfte Schützling Riez ohne besondere Rücksicht auf geltende Verwaltungsvorschriften die HAB finanziell päppeln und ihr ein dickes Rücklagenpolster verschaffen. Erst als sich, auch durch kritische Hinweise der Wirtschaftsprüfer von Treuhansa, 1994 und 1995 zeigte, daß dieses Genehmigungs-chaos einer Überprüfung von außen nicht standhalten würde, begann man mit dem Aufräumen.

An diesen Aufräumarbeiten, die fast vollständig im Sinne der HAB abgeschlossen wurden, hat Riez im Auftrag von Fischer-Menzel entscheidend mitgewirkt. Das Ergebnis dieses Großreinemachens, bei dem viele Millionen auf Kosten des Steuerzahlers und freier Beschäftigungsträger zur HAB verschoben wurden, gilt heute Karin Roth und ihren Prüfern als „betriebswirtschaftlich sinnvolle und handelsrechtlich zulässige Lösung“. Noch Fragen?