Alte ins Viertel!

■ Einen Steinwurf vom „Gifteck“ entfernt wurde das „Haus im Viertel“ eröffnet, ein Altenwohnprojekt, das die Lücke zwischen Zuhause und Altersheim besetzt

Wer am Leben bleibt, muß noch lange nicht im Leben bleiben. Das wissen besonders gut alle Alten, die ausrangiert und weggeschubst in irgendeinem Altersheim verschimmeln. Vergangene Woche hatte Sozialsenatorin Tine Wischer für Alte, die „im Leben bleiben wollen“, ein Angebot: „Wohnen am Puls unserer Stadt“. Nämlicher Puls klopft, davon sind zumindest alle Viertelbewohner überzeugt, ausschließlich zwischen Goethetheater und St. Jürgen-Krankenhaus, im „Viertel“. Das „Haus im Viertel“ ist ein Altenwohnprojekt für Leute ab 60, die zunächst nur unter netten Nachbarn nett wohnen wollen. Die aber für den voraussehbaren Fall, daß der Alltag mühsamer und die Organe müder werden, auf ein Serviceangebot zurückgreifen können möchten. Am Freitag wurde das Wohnprojekt der Bremer Heimstiftung, auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Tenter-Bäckerei, zwischen Seilerstraße, Taubenstraße und dem Krummen Arm gelegen, offiziell und feierlich eröffnet.

Das Haus im Viertel – in dem auch namhafte taz-AutorInnen ihre Eltern untergebracht haben – liegt einen Steinwurf entfernt von der „Gifteck“ genannten, randalegewohnten Sielwallkreuzung. Im Hausprospekt liest man von Attraktivität durch Citynähe und Erholungs- und Grünflächen an der Weser. Und der Stadtteil sei „lebendig“, was man natürlich auch als Drohung verstehen kann. Doch zum Leben gehört Mut. Und zum Puls gehören leider auch Einstichlöcher.

Die Anlage selbst, bestehend aus drei hübschen und besonnten Immobilien, wirkt ausgesprochen friedlich und freundlich. Viel Glas in den Fassaden. Bißchen Rasen für die Augen rundherum. Innen ein überdachter und bepflanzter Innenhof mit Springbrunnen. Umlaufende Galerien mit Sitzbänken und Tischchen; von hier aus erreicht man die Wohnungen der Obergeschosse. Wände in mint, flieder, orange, aber das kann man ja auch noch mal anders anstreichen. Ein schwarzes Brett mit einer Einladung, über das Transplantationsgesetz zu diskutieren und den Tag der offenen Tür in der urologischen Klinik wahrzunehmen. Die Türen haben einen Spion. In den Gängen stehen Skulpturen, weil hier auch Künstler wohnen. Und der alte Zigarrendreher aus dem Schnoor.

Das Konzept, Alten ein Leben mitten im Stadtgewusel anzubieten, scheint aufzugehen: Drei Viertel der 50 Zwei- bis Dreizimmerwohnungen (46 bis 72 qm) sind schon bezogen. Die Frau, die man um Gottes willen nicht „Heimleiterin“ nennen darf, die „Projektleiterin“ Ursula Schnell, findet aber ohnehin: „Hier im Viertel ist es friedlicher als in anderen Stadtvierteln.“ Das Prinzip „Wohnen mit Service“ sieht so aus: Man mietet sich eine Wohnung und zahlt für ca. 50 qm 1300 Mark warm (offensichtlich: kein sozialer Wohnungsbau). Dafür hat man einen Notrufknopf. Notfalls ist innerhalb einer Minute Hilfe aus einer direkt angrenzenden Pflegedienstzentrale abrufbar. Wer sich allerdings bedienen lassen möchte (oder muß), der kann das Essen kommen lassen oder den Friseur, kann sich die Wohnung putzen lassen oder häusliche Krankenpflege in Anspruch nehmen. Solcher Service kostet natürlich. Doch weil das Haus im Viertel mehr ist als ein Mietshaus mit Notknöpfen und externen Dienstleistungen, kümmert sich Frau Schnell darum, daß die Hausbewohner untereinander in Kontakt kommen. Sie lädt Leute aus der Nachbarschaft zum Mitessen ein. Organisiert Kontakte zu Schulen. Hilft, „ein Klima zu schaffen“, wie sie sagt.

Im nächsten Jahr kommen noch einmal, in einem zweiten Bauabschitt, 70 Wohnungen dazu. Und womöglich angelt man sich auch das angrenzende backsteinerne Fundamt als „Begegnungszentrum“. Das wünscht sich jedenfalls Frau Schnell. Dann bekäme man im Viertel geradezu einen Altenschwerpunkt. Was nur gut wäre. Denn für eine Stadt ist Überalterung genauso schlecht wie das Gegenteil, für das es aber kein Wort gibt. BuS

Info Tel.: 0421/7948272