Verzweiflung hört sich gut an

■ „Live in Bremen“: Der sponsorenfinanzierte Nachwuchswettbewerb fand samstags im Pier 2 einen würdigen Sieger

Bremen, totes Land. Schon die Jugend ist depressiv, sagt man so dahin, etwa zwei Mal die Woche, abends in der Kneipe. Unter den sechs Bands der Endausscheidung von „Live in Bremen“ hatte allerdings just jene Band die meisten, lautesten, höchsthüpfenden (und kürzestgeschoren) Anhänger, die den sonnigsten Sound lieferte. Die Ska-Aktivisten „Schwarz auf Weiß“ trugen zwar schwarze Krawatten auf weißem Hemd, pusteten aber mit Hilfe von drei Blechbläsern das letzte Fünkchen schwarzer Schwermut aus dem Pier 2. Menschen höheren Alters, denen Musik immer der geliebte Müllkübel für alle möglichen emotionalen Absonderlichkeiten war und ist, muß der schlicht dahinschunkelnde Rhythmus dieser Musik aus den Slums Englands etwa ebenso unverständlich sein wie eine Polka oder ein Tschardasch. Nur gut, daß in der Jury reife Menschen saßen. Souverän verbannten sie die Publikumslieblinge auf Platz 5; nicht mal anständig ans Ende gemobbt wurden sie - dank „Applausometer“, der Stimme des Publikums. Wenn man akzeptiert, daß sich ein Sound wie die leibhaftige Vertonung der CDU-Wahlplakate (“Der Aufschwung ist da“) anhört, dann muß man allerdings „Schwarz auf Weiß“ einen klasse Sänger und professionelle Arrangements zubilligen. Überdies wurde mindestens ebenso auftrumpfend und hochmütig wie beim HipHop die eigene Genialität beschworen.

Wie bescheiden und höflich entschuldigte sich dagegen „Soulmate“ kurz vor ein Uhr nachts bei den Ska-Anhängern für den Sieg. Dieser Band, die am guten alten Gitarrenpopprojekt arbeitet (Verwandle Verzweiflung in Euphorie!) hat nämlich die achtköpfige Jury den 1. Preis zugesprochen. Scheinbar konnte oder wollte nicht einmal der Vertreter vom Club der Sparkasse – „ich spiele selber Jazz“ – diesen Ska-Daueroptimismus von standortfördernden Qualitäten würdigen. Eine demoskopische Erhebung auf der Damentoilette ergab aber, daß der Wiedereinzug von Blues Brothers-Chic beim Damenvolk supergut ankommt. „Macht die Schultern breiter.“ Und substanzieller: „Das ist wie beim Raggae: Mitten im Elend gute Laune und Haltung bewahren, auch in den Klamotten, darauf kommt's an.“

Haltung bewahrte auch der Sänger der Sieger. Aber anders. Statt zu turnen und zu wippen stand er da wie ein Lateinlehrer beim Diktat, die Hände am Rücken zusammengefaltet. Doch aus diesem Ausbund von Disziplin und Rückgrat schreit es halsaderschwellend heraus. Unglück klingt so gut.

Haltung bewies auch die Jazz-combo „Cool Position“. Weil sie vorhaben, sich demnächst aufzulösen, erschienen sie erst gar nicht. Was sind schon 20.000 Mark für eine CD-Produktion (1.Preis), was ist schon die Finanzierung eines Videoclips (2.Preis) oder das Auftrittsrecht beim nächsten Hurricane-Festival (3.Preis). Bei letzterem müßte man als Jazzer sowieso mit faulen Tomaten rechnen. Eitelkeit und Raffgier kann man denen jedenfalls nicht vorwerfen. Ne coole position eben.

Schlechte innere Haltung dagegen zeigte der Animateur für die Umbaupausen. Sponsor Holsten stuft das Biertrinken offenbar als Handlungsform niedrigkultivierter Bevölkerungskreise ein und ließ dumme Rechenaufgaben stellen, deren Lösung manchmal den Erhalt noch dümmerer Preise – zum Beispiel Baseballkappen – nach sich zog. In den Marketingabteilungen der Nation scheint man offenbar den Eindruck zu haben, unsere Jugend werde sozialisiert in Ferienclubs auf Ibiza.

Richtiggehend zum Verlieben fand unser Fotograf die Stimme der hamburgisch-bremischen Gruppe „Wunder“. Weniger beeindruckt war er von Schlichtheit und Korrektheit von „The land of the Living“. „So schlimm wie bei BAP ist es allerdings nicht.“ Die Jury pflichtete diesem weisen Urteil bei und beschied: Platz 6.

„White Style“ macht klasse Hip-Hop und mischt alle Wunder der Technik und des Instrumentariums ohne Pathos- und Überfrachtungsängste zusammen. Mit ein paar Breakdancern zur optischen Aufhellung verwiesen sie auf die Roots des HipHop. Fehlten nur noch ein paar Sprayer zum Verschandeln der weißen Radio Bremen-Übertragungs-wagen, draußen vor der Tür. Schade eigentlich nur, daß White Style eine erstklassige Sängerin dem Rapper zur Seite stellte. Warum müssen HipHop-Bands immer samtige Engelsgesänge einsetzen? Warum laden sie nicht mal einen alten Blueser, ein Nilpferd oder eine Fadosängerin ein? Der Mensch wurde auf dem „Live in Bremen“-Konzert wieder mal als nachahmendes Wesen kenntlich.

Unter den Einsendungen war jede Menge Konfektionsware von der Stange zu hören, meint Angie Harms, „Prinz“-Redakteurin, Musikerin und Mitjurorin. Eigentlich hielten nur 15 Bands verschärften Qualitätskriterien stand. Um die setzte am fünften und letzten Tag der Sichtung ein hartes Ringen der Musiker, DJs und Musikjournalisten ein.

400 Demotapes überfluteten Koopmann, Organisator der 140.000 Mark-Performance. Und das obwohl mit dem schlechtesten Plakat aller Zeiten geworben wurde. Nur wer aus Schock über das häßliche Gelb und die häßlichen Schrifttypen mit dem Fahrrad gegen eine Plakatwand rasselte und sich den Kopf zufällig beim Kleingedruckten („Der Nachwuchswettbewerb des Landes Bremen...“) einschlug, erfuhr, um was es gehen sollte. 100 Hörproben mußten gleich mal aussortiert werden: falsche Herkunft (Köln, Berlin oder Hamburg). Hardcore, Trash und Heavy Metal war überproportional vertreten. „Techno dagegen gar nicht“, so die Prinz-Gemahlin. Bis in die Endrunde drang aber trotz Weser Label-Präsenz in der Jury nichts Hartes vor. „Die hatten oft schlechte Sänger. Oft nur Rumgegröle“ HipHop gab es „eher wenig“, dafür aber in allen Varianten, ironisch, grotesk, empfindungslyrisch, politisch. Zwei Einsendungen hörten sich schwer nach Kinderband in Gil- oder Hanson-Nachfolge an. „War aber schlecht.“ Zweimal wurde Dions Titanticsong gecovert – „mit der Heimorgel“. Welcher Hit wohl nächstes Jahr gecovert wird? Zwei Jahre Finanzierung hat Holsten zugesichert. bk