Unerhörtes Spielmobil

PDS-Wahlkampf im Westen ist nicht leicht. In Neukölln herrscht Personalnot und Infomaterial gibt es nur in Schwarzweiß  ■ Von Sabine am Orde

Die Mitvierzigerin nimmt das Faltblatt und nickt im Vorbeigehen dem Verteiler zu. Dann stockt ihr Schritt. Demonstrativ dreht sie sich um, zerreißt das Papier. Die Schnipsel landen im Mülleimer. „Neukölln ist eben kein leichtes Pflaster“, sagt Uwe Doering und grinst. Seit einer Dreiviertelstunde ist er in Neukölln auf Wahlkampftour für die PDS. Den Hermannplatz hat er schon hinter sich.

Der knallrote Robur-Bus made in GDR, Baujahr Anfang der Siebziger, Kennzeichen P-DS 98, mit dem die Partei überall in der Republik auf Wahltour geht, steht vor Tchibo in der Karl-Marx-Straße. Im Bus sitzt Manfred Müller, der bereits im Bundestag ist. Der ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) hat 1994 im Wahlkreis Hohenschönhausen/Pankow/Weißensee eines der vier Direktmandate geholt, die die PDS in den Bundestag bugsierten. Müller ist Neuköllner und unterstützt deshalb heute die Westgenossen vor Ort. „Außerdem brauchen wir für die Fünfprozenthürde Weststimmen“, sagt er, „und nur so kriegen wir endlich den Fraktionsstatus“.

„Am 27. September die linke Opposition wählen, am 27. September PDS wählen“, dröhnt es aus den Lautsprechern auf dem Wahlkampfbus. Davor beschwert sich ein Tchibo-Kunde lautstark über den Lärm und darüber, daß das DDR-Gefährt im Parkverbot steht. Ein paar Meter weiter verteilen drei PDSler Wahlmaterial: Doering, der als Parteiloser der Parlamentarische Geschäftsführer der PDS im Abgeordnetenhaus und ihr Neuköllner Direktkandidat ist, ein Genosse aus Köpenick und ein 75jähriger, den Doering noch aus SEW-Zeiten und von der gemeinsamen Arbeit im Bund der Antifaschisten kennt.

Die PDS hat hier im bevölkerungsreichsten Bezirk der Stadt nur 40 Mitglieder, zehn davon sind im Wahlkampf aktiv. „Im nördlichen Neukölln kriegen wir noch wöchentliche Stände hin, aber in Gropiusstadt haben wir ein echtes Problem“, sagt Doering. Der ist ein Bär von Mann und sieht mit Bart, Brille und Freizeitjacke genauso aus, wie man sich einen gestandenen Gewerkschafter vorstellt. Und als solcher tritt Doering, gelernter Elektromechaniker und seit langen Jahren in der IG Metall, hier auch an. Ein grauhaariger Mann, der in Bautzen saß, beschwert sich über die SED-Vergangenheit der Partei. „So eine Unterdrückung wie in der DDR will ich nicht nochmal erleben“, sagt er. Als alle Beteuerungen über die Erneuerung der PDS nicht fruchten, versucht es Doering mit der Betriebsschiene. „Heute darf man sagen, Kohl ist doof“, argumentiert er, „aber im Betrieb darf man die Schnauze nicht mehr aufmachen.“ Da nickt der Mann, doch wirklich überzeugt scheint er nicht.

Trotzdem freut sich Doering über das Gespräch, denn Kontakt zu den NeuköllnerInnen aufzunehmen, das ist gar nicht so leicht. Die meisten nehmen zwar das Infomaterial, doch daraus entwickelt sich nichts. „Das ist im Ostteil ganz anders“, sagt Manfred Müller, „da suchen die Leute das Gespräch mit uns, da gehören wir zur Bevölkerung.“

In weiten Teilen des Westens dagegen ist die PDS noch immer ein Fremdkörper. Hier hat die Partei bei der letzten Bundestagswahl gerade mal 2,6 Prozent der Zweitstimmen geholt, bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus waren es 2,1 Prozent. Nur 500 der 18.000 Berliner Parteimitglieder wohnen im Westteil der Stadt. Kreuzberg ist hier mit 75 Mitgliedern der stärkste Bezirk. 35 von ihnen rackern sich im Wahlkampf ab, kleben fast alle Plakate selbst und versuchen, an den Wochenden stets mit fünf Ständen im Bezirk präsent zu sein.

Dazu kommen Veranstaltungen, Straßenfeste und Einsteckaktionen in Briefkästen. Vergleichbar mit dem Wahlkampf im Osten ist das dennoch nicht. Da ist nicht nur die Personal-, sondern auch die Materiallage viel besser. Von den großen Plakaten, auf denen die PDS mit dem schlichten Slogan „Arbeit muß her!“ wirbt, hängen im Westteil 250 Stück, im Osten sind es dreimal so viel. Auch mit ihren DirektkandidatInnen werben PDS-Plakate nur in den fünf Ostbezirken. Dort sind die Faltblätter mit den Konterfeis von Gysi, Bisky, Pau & Co. farbig gedruckt, die WestkandidatInnen müssen sich mit Schwarzweißporträts begnügen. Immerhin tritt nun erstmals auch die Ost-Parteiprominenz verstärkt im Westteil auf. Gregor Gysi hat gerade eine Berlintour hinter sich und dabei nicht nur mit der KPD-RZ (Kreuzberger Patriotische Demokraten – Realistisches Zentrum) die Koalitionsfrage debattiert, sondern auch von Tegel bis Tempelhof um Stimmen für die PDS geworben.

Auf dem Weg von den Gropiuspassagen zum Markt am Maybachufer beschallt der rote Bus wieder die PassantInnen. „Ausbilden statt ausgrenzen“ und „Gegen die Verteilung von unten nach oben“, tönt es aus dem Lautsprecher. „Immerhin hört man uns, der hat uns 'nen Vogel gezeigt“, lacht Doering. In den vergangenen drei Stunden hat er so ziemlich alles zu sehen gekriegt, was die Fingersymbolik zu bieten hat: drohende Fäuste, Stinkefinger, gehobene Daumen. Die meisten Leute jedoch, besonders die Kids, bestaunen vor allem das knallrote DDR-Gefährt, das Doering gern „das feuerrote Spielmobil“ nennt.

Daß die PDS in Neukölln nicht viele Stimmen holen wird, ist Doering klar. „Aber wir müssen wenigstens zeigen, daß es es die PDS in Neukölln überhaupt gibt.“ Präsenz sei nicht nur für die Bundestagswahl wichtig, sondern auch mit Blick auf die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zur Bezirksverordnetenversammlung. Zwar setzt die Partei im Westen am 27. September vor allem auf die Zweitstimme, doch auf DirektkandidatInnen verzichtete sie nicht. „Bei der Abgeordnetenhauswahl haben wir in Kreuzberg wegen Riza Baran von den Grünen nicht direkt kandidiert“, sagt der Kreuzberger PDS-Kandidat Michael Prütz, „und festgestellt, daß viele durchgestimmt haben“. Dadurch seien wichtige Zweitstimmen verloren gegangen.

Die Kreuzberger PDS setzt zusätzlich auf Antirassismus und will laut Prütz so vor allem drei Zielgruppen erreichen: alleinstehende Frauen mit Kindern, sozial Benachteiligte und ImmigrantInnen mit deutschem Paß. Hier hofft die PDS auf Einbrüche in das grüne und sozialdemokratische Klientel. Und was ist mit den Antifas? Seine Partei, so Prütz, habe zwar „gute Kontakte zu den Resten der Autonomen und der Antifa“ aber eine „linksradikale Geschichte“ mache sie nicht: „Wir wollen an ganz normale Leute ran.“

Inzwischen hat der Wahlkampfbus die Neuköllner Genossen am Maybachufer abgesetzt und ist bereits nach Lichtenberg zum nächsten Termin unterwegs. Uwe Doering ist froh, daß für heute Schluß mit dem Wahlkampf ist. Doch am nächsten Samstag wird er wieder auf dem Hermannplatz stehen, diesmal allerdings mit einem Tapeziertisch statt mit dem „feuerroten Spielmobil“.